Bruce Lee und die Ehrlichkeit

■ Mal trendy, mal Kickbox: Chung und Cheater Slicks dröhnten

1998. 30 Jahre danach. Nach '68. Rebellischer Bruce-Lee-Typ kommt in eine Hafenstadt zurück, um dort mit seiner Gitarre ehrliches Geld zu verdienen. Sofort hat er Streit mit dem Straßen-Establish-ment, es wird über Cocktails und Retro Art geredet, wo es zumindest mal um Musik ging, als „Chung“barfuß in ihren Karate-Anzügen die Bühne betraten. Es war nicht besonders voll am Dienstag abend im „Römer“, aber alle waren da, denen noch an einem unabhängigen Netzwerk gelegen war, um der Herrschaftskultur eine wenigstens populistische Opposition zu bieten.

Niemand war so recht wegen der „Cheater Slicks“aus Boston gekommen, diesen drei Studenten der bildenden Künste, die seit zehn Jahren die Sümpfe von White Trash durchpflügen und bisher eher durch die Ästhetik ihrer Plattencover auffielen. „Vor dem Schund der Political correctness gab es eine ganz eigene Welt voll von verführerisch-gefährlichem Zeugs“, sagt Gitarrist David Shannon, der für die Gestaltung zuständig ist. „The Hanky Panky, Wild Thing, ,Louie, Louie', Wooly bully, Playboy, Fernsehwerbung für Zigaretten, das Mad, Plastikwaffen, Modellbausätze, Capes, Spider Bikes, schäbige Gitarren, AM Radio ...“, eine Beschwörung der mystischen 60er-Jahre-U.S.-Kultur, die in der BRD erst durch diverse Revivals wahrgenommen wurde und sich primär mit Matrosentatoos beschäftigt.

„Chung“greifen dagegen auf die eigenen Wurzeln zurück, erweisen ihrer Vergangenheit in Ex-Bands den Respekt und bleiben dabei unglaublich freundlich – Selbst-Referenz, vielleicht der größte Coup der Popmoderne.

„Chung“sind eine neue Band. Ein Trio ist die optimale Besetzung für ihren Gitarrenlärm, und Nick trägt als einziger den schwarzen Bruce-Lee-Anzug. Aus seiner Sechssaitigen zieht er atemberaubende Wechsel und vermag dabei Spannungsbögen zu halten wie kein anderer. Manch Trash-KennerIn mag sich an die Schlußszene von „Enter the Dragon“erinnern – die Kamera fährt über 100 schwarze und 100 weiße Anzüge in voller Kung Fu-Action, verharrt auf der Rückansicht eines stillen Bruce Lee, der, in sich ruhend, wissen läßt, daß Schluß mit lustig ist, wenn er selbst nur mit dem Finger zuckt. „Chung“gehen auf in ihrem Sound und bleiben so ruhig, wie man nur sein kann, wenn gerade ein Orkan offensichtlich brillanter Songs entfacht wird und dem Publikum die Kinnladen in Reihe runterfallen.

„Chung“sind im „Lexikon der Onomatopöien“(„Die lautimitierenden Wörter im Comic“, Zwei-tausendeins-Verlag) als „Schlag; Faustschlag gegen ein Metallmonster“verzeichnet, und nach ihnen konnten die „Cheater Slicks“nur nörglerisch die schlampige Hintergrundmusik liefern, während die Leute sich verliefen und der Disco-Besitzer am Eingang Flyer von Konkurrenz-Konzerten beschlagnahmen ließ. Anti-Netzwerk-Typen, sie werden es nie kapieren.

StErn