Gebrauchsanweisung zum Genuß verbotener Früchte

■ Das japanische Erziehungsministerium startete im Sommer an den Schulen eine „Aufklärungs“-Kampagne gegen Drogen: Seither sind die Kids noch neugieriger auf den Stoff

„Trippu suru – Kommst du auf 'nen Trip“. Das fragen die Kids an der Centerstreet von Shibuya immer öfter. Sie werfen sich dabei nicht einen Trip ein, sondern ziehen säuberliche gerollte Minijoints aus den Taschen, die sie am liebsten mit klobigen Zippos anzünden.

So auch Shinobu und seine Freundin Ayumi, die eine Konzertpause für einen Joint im Dunklen nutzen. Sie besuchen tagsüber eine private Mittelschule im noblen Aoyama-Viertel, und seit einem halben Jahr kiffen sie pro Woche zwei Joints. Mit Drogen haben die heute 16jährigen vor drei Jahren zum ersten Mal Bekanntschaft gemacht. Sie inhalierten mal Verdünner für ein High, später warfen sie dann Pillen ein. Der Versuch mit einem Metaamphetamin, kurz „Shabu“ genannt, verlief schlecht. „Ich kam auf einen kotzüblen Trip, der sechs Stunden dauerte“, erinnert sich Shinobu, darum raucht er jetzt nur noch Joints.

Wer in Tokio Marihuana raucht, gehört zu den Insidern im Drogenmilieu. So zumindest sieht es der bekannte Reporter Saburo Mihara, der über seine Ausflüge in die Drogenunterwelt von Tokio und Osaka regelmäßig berichtet. Bis vor kurzem haben die meisten japanischen Marihuanaraucher das duftende Kraut zum ersten Mal im Ausland inhaliert. Den Sprachaufenthalt in Europa oder Australien nutzen viele, um endlich mal all das zu Genießen, was im eigenen Lande strikt verboten ist.

Marihuana gilt in Nippon als gefährliche Droge. Darum forderten konservative Blätter auch die Ausweisung des kanadischen Olympiasnowboarders Ross Rebiliati, als die Dopingkontrolleure in seinem Blut die marginale Menge von 17,8 Nanogramm Tetrahydrocannabinol nachweisen konnten.

Solche harten Reaktionen sind nicht unüblich, sie entsprechen den juristischen Gepflogenheiten: Wer in Nippon mit einem halben Gramm Haschisch erwischt wird, muß mit einer rechtskräftigen Verurteilung rechnen. Wer mit Drogen handelt, dem winkt ein jahrelanger Gefängnisaufenthalt. Dennoch hat die japanische Drogenpolizei verglichen mit europäischen Ländern lächerlich wenig zu tun. Gerade mal knapp 15.000 Verhaftungen pro Jahr verzeichnet die Statistik in einem Land mit 124 Millionen Einwohnern. Nahezu zwei Drittel der Verhafteten sind Mafiamitglieder, die noch wegen anderen Delikten gesucht worden sind.

Dennoch warnt Yasuhiro Watanabe vom Büro für Jugenddelikte der Nationalen Polizei in Tokio vor Schönfärberei. Mindestens eine Million Leute seien drogenabhängig, weil der Stoff nur noch halb so teuer wie noch vor fünf Jahren sei. Dennoch kostet in Tokio ein Gramm Hasch stolze 25 Mark, und Marihuana ist unter 20 Mark nicht zu kriegen. In Polizeikreisen redet man von der dritten Drogenwelle, die über Japan schwappe. Die erste Welle erfaßte das Land mitten in den Aufbaujahren der Nachkriegszeit zwischen 1952 und 1956. Nippon zählte über Nacht mehr als zwei Millionen Drogensüchtige. Es waren Leute aus der untersten Schicht, die mit Billigstpräparaten dem Elend zu entfliehen suchten. Die zweite Welle kam dreißig Jahre später mitten in der Hochkonjunktur. Die Söhne und Töchter aus der Schickeria begannen aus purem Fun mit dem Genuß von Drogen. Bis 1986 stieg die Zahl der Abhängigen wieder um nahezu eine Million.

In der jüngsten Welle versuchen Teens „aus reiner Neugier und wegen Falschinformationen“ die Drogen, sagt der Polizist Watanabe. Verblüfft war er über die Aussage einer 14jährigen Schülerin, die ihm sagte, sie rauche Cannabis, um abzunehmen. Gegen solch naive Vorstellungen wollte das Erziehungsministerium etwas tun und startete im vergangenen Sommer eine Aufklärungskampagne in den Mittelschulen. Sogar Premier Ryutaro Hashimoto dozierte in einem Vorort von Tokio über die schädliche Wirkung von Drogen. Das Resultat der Kampagne war ernüchternd. Eine Umfrage ergab, daß die Kids auf den Stoff noch neugieriger als vorher waren. Rund 80 Prozent der 14- bis 18jährigen gaben an, daß sie irgendwann einmal einen Joint probieren möchten. „Das gehört doch einfach zu unserem Lebensstil“, sagt Ayumi. Der Kiff ist ihr bereits eingefahren.

Den Flop hatte die bekannte Sozialkritikerin Moeko Tawara schon zu Beginn der Kampagne vorausgesagt. „Kein Wort über die sozialen Hintergründe der Drogensucht wurde erwähnt“, kritisiert Tawara. Tatsächlich lesen sich die Erkärungen der Tokioter Regierung über die Drogensucht wie eine Gebrauchsanweisung zum Genuß der verbotenen Früchte, die aber mit „Aber laß ja die Finger davon“ schließt. André Kunz, Tokio