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Warten auf Godot. Sie kam!

■ Zur Erlösung: Linda Tillery eröffnete mit ihrem Cultural Heritage Choir das 10. „Women in (E)motion“-Festival

Räuspern, wispern, Füße scharren. Man wartete auf Godot in der gut gefüllten Kirche Unser Lieben Frauen. Ein letztes Naseschneutzen. Die Selbsthilfegruppe der chronisch Keuchhustengeschädigten, der offenbar niemals eine öffentliche Aufführung entgeht, nutzte die Wartezeit zu einer lautstarken Erinnerung an ihre unvermeidliche Anwesenheit. Aber wer in einer Kultur aufgewachsen ist, die seit Jahrtausenden der Wiederkehr des Erlösers harrt, wird sie doch – zumal an diesem Ort – ertragen können, die ungewöhnlich lange Spanne zwischen dem Erlöschen der Lichter und dem Auftritt der angekündigten Band. Denkste! Aufforderndes Klatschen, zaghafte Pfiffchen, kicher kicher. Petra Hanisch, die Veranstalterin des „Women in (E)motion“-Festivals, räumte etwas nervös die letzten nicht vorhandenen störenden Gegenstände vom Altar. Aber plötzlich, das akademische Viertel war gerade abgelaufen, waren sie da: Linda Tillery und ihr vierköpfiger Cultural Heritage Choir! Und kaum, daß die bunt ausstaffierten Frauen auf ihren Stühlen Platz genommen hatten, rollte der Zug, aus fünf mächtigen Kehlen dampfend, in jene Zeit zurück, die zwar schrecklich dunkel war, aber der Musikwelt schließlich Ikonen wie Muddy Waters, Mahalia Jackson und nicht zuletzt Prince geschenkt hat.

Bis zur Pause erinnerte das Auftaktkonzert des Festivals an eine Nachhilfestunde in afroamerikanischer Geschichte am Beispiel musikalischer Kurzbeiträge. Ausführlich erläuterte Tillery die historischen Wurzeln der anschließend vorgetragenen Spirituals, Gospels, Kinderlieder und Worksongs, erzählte von Legenden, Kämpfen und der Herkunft ihrer Trommeln und Glocken. Kaum jemand in der gut gefüllten Kirche wird all das zum ersten Mal gehört haben. Die enorme Verlockung, darob in den Tiefschlaf zu fallen, zerstreute sich jedoch immer dann, wenn die Texa-nerinnen relaxed zu ihren Instrumenten griffen und das Publikum binnen kurzem mit erdigen, ungeschliffenen schmutzigen Liedern beglückten.

Ganz ohne aufgesetztes Reverendgehopse und permanentes „Der Lord hat mich erleuchtet“-Gebaren, mit dem amerikanische Gospelchöre alle Nase lang in großen Hallen der Menschheit tüchtig auf den Geist gehen, beeindruckten Linda Tillery und ihr Chor durch die Selbstverständlichkeit, mit der sie quasi wie aus dem Nichts wunderbare Kleinode schwarzer Musikkultur zauberten. Und nach der Pause – die vorhergegangene Unterrichtsstunde hatte ihre Wirkung nicht verfehlt – verschoben sich die Gewichte deutlich zugunsten der Musik, was der Stimmung im Publikum sichtbar zugute kam. Eine großartige masochistische Performance, bei der Arme, Beine, Brust und Wangen unentwegt zur Tonerzeugung mit Schlägen traktiert wurden, entfachte zu Recht Begeisterungsstürme, ebenso wie Rhonda Benins Solo auf der imaginären gestopften Dixielandtrompete. Und die kurze Reminiszenz an den Queensbodenstampfer „We will rock you“verdeutlichte ebenso wie die wundervolle „Baby baby, you make me crazy“-Persiflage auf den Machismus der Hardrocker und Gangsta-Rapper unserer Tage, daß aller Traditionspflege zum Trotz das Repertoire der Gruppe nicht ausschließlich musealer Natur ist.

Sollte die seit langem versprochene Ankunft des Heilands ähnlich begeisternd sein wie Linda Tillery und ihr Chor es gewesen sind – man wartet gern weiter geduldig auf den Jüngsten Tag. zott

Diese nach aller Erfahrung unendliche Wartezeit können Sie sich in den nächsten Tagen noch mit Linda Tillery und ihrem Chor verkürzen. Weitere Auftritte: Rathaus Stuhr (13.3.), KITO (14.3.) und im Achimer Kulturhaus Alter Schützenhof (15.3.). Beginn: 20 Uhr.

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