Mit seiner Münchner Rede an die Deutschen, die sich möglicherweise mit den Werten der Gesellschaft beschäftigt, hat sich der italienische Fußballtrainer Giovanni Trapattoni als Person der Zeitgeschichte etabliert, so daß jetzt seine Bedeutu

Mit seiner Münchner Rede an die Deutschen, die sich möglicherweise mit den Werten der Gesellschaft beschäftigt, hat sich der italienische Fußballtrainer Giovanni Trapattoni als Person der Zeitgeschichte etabliert, so daß jetzt seine Bedeutung weit über jene des Fußballs hinausragt.

Der Mann des Jahres

Der italienische Fußballtrainer Giovanni Trapattoni hat mit seiner aufsehenerregenden Münchner Rede die Deutschen bewegt wie zuletzt nur Guildo Horn. Selbst wenn sein FC Bayern heute verliert oder Schröder Kanzler wird – Trapattonis Rede sichert ihm weit über den Fußball hinausreichenden Ruhm als Person der Zeitgeschichte und bereits jetzt den Titel „Mann des Jahres“.

„Es gibt im Moment, oh, einige Spieler vergessen ihnen Profi was sie sind.“ Mit diesen wunderbar rhythmischen Worten beginnt jene Rede, die dazu geführt hat, daß ihr Vortragender am Ende dieser Woche nicht mehr der ist, der er an ihrem Anfang war. „Ein neuer Gigant am Medienhimmel“ sei aufgegangen, sagt der sprachlich ähnlich kreative alte Gigant Harald Schmidt. Das ist wahr, aber längst nicht alles: Die gesamte Republik wirkt merklich verändert. Selten hat ein Ereignis die Deutschen zuletzt so berührt wie die Ansprache eines italienischen Fußballtrainers.

Drei Minuten und zehn Sekunden dauerte die Aneinanderreihung von Silben, die Trapattoni am Dienstag ins Land herausbrüllte. Die Rede brachte es zum Aufmacher im „heute-Journal“, sie wurde als Kommentar in den „Tagesthemen“ gesendet. Mittlerweile werden Videos von Trapattonis Auftritt wie Schätze gehandelt. Bundesweit haben sich Exegeten über die Transkription des „ganz außergewöhnlichen Zeitdokuments“ (der kicker) gemacht, um alle seine Geheimnisse zu entschlüsseln. Allüberall hauen derweil Menschen scheinbar unmotiviert mit der flachen Hand auf den Tisch und brüllen dazu – bevorzugt jenes Wort, ohne das auch die „Harald Schmidt Show“ mittlerweile nicht mehr auskommt: „Strunz.“

Es ist klar: Hier geht es längst nicht mehr um Fußball, hier geht es um den Zustand der Republik im Jahre 1998. Dieses Land ist ganz offenbar „Strunz“ – nur hatte es zuvor kein Wort dafür. Nun hat es Giovanni Trapattoni gesagt.

Der Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat sich einst angeblich in die Herzen der Deutschen geredet. Daß er bloß über die Kapitulation als Befreiung sprach, wer weiß es noch? Ewiger Ruhm aber ist ihm seit diesem 8. Mai 1985 sicher. Nachfolger Herzog hatte sich in seiner „Berliner Rede“ als Volkspädagoge inszeniert. Ähnlich wie nun Trapattoni hatte er eine Wertedebatte angeregt. Wenn er „Pünktlichkeit, Disziplin, vor allem den Respekt vor dem Nächsten“ einforderte, mag mancher im neuen Kontext sofort an Mario Basler denken.

Aber: Von Herzogs Rede ist dem Volk bloß das eine Wort „Ruck“ in Erinnerung geblieben. Trapattonis Ansprache hingegen haben viele Deutsche mittlerweile auswendig gelernt. Manche Sätze werden zwangsläufig in Büchmanns „Geflügelte Worte“ aufgenommen werden müssen („Ein Trainer ist nicht ein Idiot“).

Was ist passiert? Vordergründig: Ein Spitzenmanager, eigentlich ein „feiner Mensch in feinem Tuch“ (SZ), hat vor einem Millionenpublikum tobend die Erbärmlichkeit der ihm untergebenen Angestellten („Was erlauben Strunz?“) beklagt. Trapattonis Zorn auf Fußballer, die nicht rennen, aber Vorgesetzte kritisieren, spricht die Leute an, obwohl er inhaltlich – soweit man das nach dem jetzigen Forschungsstand sagen kann – in einer kruden Mischung Schultes DGB-Klageprosa zum Thema Arbeitnehmerbefindlichkeit mit Westerwelles neoliberalen Imperativen vermengt. „Wenn jemand Emotionen zeigt“, sagt der Freiburger Diplompsychologe Hans-Georg Huber, „bewegt er auch Emotionen.“ Trapattonis Klage, sagt Huber, habe die Frage berührt, „ob es noch gesellschaftlich stimmt, in einer Zeit, in der es vielen relativ schlecht geht“.

Natürlich hat sich Trapattoni von Bayern-Präsident Franz Beckenbauer und Manager Uli Hoeneß in die eigenes anberaumte Pressekonferenz schicken lassen, mit der eigentlichen Vorgabe, die Wut der Sozialhilfeempfänger im Land auf die Fußball-Millionäre anzuheizen, um denen Beine zu machen. Die Wirkung der Rede beruht, ähnlich wie bei der Lafontaines auf dem Mannheimer Parteitag, weniger auf konkreten Inhalten als auf Emotionen. Trapattoni, sagt Psychologe Huber, bewege „die Leute, weil sie sich damit identifizieren können, daß einem mal der Kragen platzt“.

Während der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder mit seiner Hand in der Tasche immer wirkt wie frisch aus dem Medienseminar, hatte Trapattoni eine perfekte Dramaturgie, und dennoch gelang es ihm, das Adrenalin so echt auszuschütten, daß die medizinische Debatte vom Experten („ein typischer Fall von Affektstauentladung“) bis zu Millionen Laien reicht, die schlicht erleichtert sind, daß der Gute es überlebt hat.

So hat die Rede eine politische, soziale, psychologische und linguistische Dimension bekommen, obwohl der Redner vordergründig bloß sehr raffiniert die dem Trainer traditionell zustehende Schuld („Ich habe immer die Schulde über diese Spieler“) auf die Bayern-Profis Scholl (weniger), Basler (mehr) und Strunz (sehr) umleitet. „Ist klar diese Wörter, ist möglich verstehen, was ich hab' gesagt?“ fragte Trapattoni. Die Antwort ist natürlich: Nein. Viele haben seine Worte nicht verstanden, fühlen sich aber von der illokutionären Botschaft angesprochen. Die in Deutschland unübliche Emotionalität des Italieners hat zudem die Sehnsucht berührt, die zuletzt auch die Hysterie um den Schlagersänger Guildo Horn auslöste. Der Trierer Trash-Held ist wie Trapattoni ein Homo novus aus der Provinz. Während der „postmoderne Kuschelbär“ Horn (Spiegel) aber das Gefühl über das Land legt, ist es bei Trapattoni umgekehrt. Das ökonomisch defizitäre Land kompensiert mit einem Plus an Gefühlen. Es sorgt sich um einen geplagten Mann (Bild: „Macht Bayern Trap krank?“), der in der Diktion des „Gurkenkönigs“, eines bei Kleinkindern sehr beliebten Hörspielhelden, sein Leid schnarrt.

Wie sich Trapattoni („Ich bin müde jetzt Vater diese Spieler“) als das gute Familienoberhaupt definiert, als pater patriae, den die ungeratenen Söhne verzweifeln lassen, mag manchen an Marcus Tullius Cicero denken lassen. Der große Rhetoriker schmetterte als einer der beiden Konsuln Roms im Jahre 63 vor Christus die Verschwörung des Catilina mit einer Rede ab, die mit dem Satz begann: „Quo usque tandem abutere Catilina, patientia nostra?“ Den freilich können heute nur noch Latein- Leistungskursler zitieren – doch die gibt es ja nicht mehr. Überstrahlt wird er von nun an von jenem Satz, mit dem Giovanni Trapattoni „die Rede“ beschlossen hat: „Ich habe fertig.“ Das kann sich jeder merken. Peter Unfried