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Koalition pfeift auf Beratung

Ohne die Empfehlung der zuständigen Kommission abzuwarten, preschen SPD und CDU mit einem Entwurf zur 16prozentigen Erhöhung der Abgeordnetendiäten vor  ■ Von Barbara Junge

Die Koalitionsfraktionen im Preußischen Landtag wollen offenbar keine Nullrunden mehr empfohlen bekommen. Mit einem Gesetzentwurf zur Erhöhung der Diäten preschen CDU und SPD jetzt vor, obwohl die unabhängige Diätenkommission noch nicht einmal getagt hat – erst am 13. Mai trifft sich das Gremium, das jährlich Empfehlungen für die Anpassung der Bezüge der ParlamentarierInnen ausspricht.

Die frei gewählten VolksvertreterInnen bestimmen in Berlin wie anderswo im Land die Höhe ihrer Abgeordnetenbezüge selbst. Bisher jedoch war es gute Sitte, sich bei der Veränderung dieser sogenannten Entschädigung gesellschaftlichen Rat zu holen: Die unabhängige Diätenkommission, zusammengesetzt aus dem Präsidenten des Rechnungshofes, dem Direktor des Statistischen Landesamtes, der Verbraucherzentrale, dem Bund der Steuerzahler, den Unternehmensverbänden und der Angestellten-Gewerkschaft (DAG), legte den Abgeordneten jährlich ihre Empfehlung vor. 1996 und 1997 plädierten die Diätenkommissare für eine Nullrunde. „So geht das nicht“, kommentierte gestern der Geschäftsführer der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, Jürgen Wachsmuth, die Mißachtung der Diätenkommission. „Wir Bündnisgrünen wenden uns nicht generell gegen eine Erhöhung, aber sie muß ins Verhältnis zur gesellschaftlichen Entwicklung gesetzt werden, und das ist die Aufgabe der Diätenkommission.“ Für „politisch unklug“ hält Monika Kühn, Volkswirtschaftlerin vom Statistischen Landesamt, den Alleingang der Fraktionen. „Der gesamte Prozeß der Parlamentsreform befindet sich im Fluß, warum pickt man dann diese Erhöhung vorab heraus? Ich war erschrocken, als ich das gehört habe.“

Die Diäten der Abgeordneten sind im Landesabgeordnetengesetz geregelt. Dort sind derzeit 5.100 Mark als Entschädigung und eine zusätzliche steuerfreie Kostenpauschale von 1.460 Mark fixiert – Berlin liegt damit im Bundesvergleich auf einem hinteren Platz. Die Koalition plant nun, die Entschädigung auf 5.960 Mark und die Kostenpauschale auf 1.610 Mark zu erhöhen. Außerdem soll den Abgeordneten erstmals 750 Mark für parlamentarische MitarbeiterInnen zur Verfügung stehen. Im Gegenzug folgt der Koalitionsentwurf einer schon älteren Empfehlung der Diätenkommission, die Altersbezüge zu reduzieren. Die Pensionsansprüche sollen generell von 45 Prozent auf 35 Prozent der Diäten reduziert, die Anspruchsgrenze von 7 auf 10 Jahre Parlamentszugehörigkeit erhöht werden. Mit den Altersbezügen liegt Berlin bundesweit vorn. Doch nicht nur die Diäten, auch ihre mögliche Erhöhung ist gesetzlich geregelt. Im Landesabgeordnetengesetz heißt es: „Der Präsident erstattet jährlich bis zum 31. Mai einen Bericht über die Angemessenheit der Entschädigung.“ Zugleich soll der Präsident des Abgeordnetenhauses einen Vorschlag für die Anpassung der Bezüge vorlegen. Diese Anpassung soll sich an durchschnittlicher Preis- und Verdienstentwicklung ebenso wie an den Veränderungen von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe orientieren.

Angesichts dieser Orientierungsmarken protestierten gestern Grüne und ÖTV gegen die Koalitionspläne. „Während von den Beschäftigten erwartetet wird, daß sie ,maßvolle‘ Forderungen stellen und zurückstecken, wollen sich die Abgeordneten mit einer 16,5prozentigen Erhöhung mästen“, erklärte die neue ÖTV-Vorsitzende Susanne Stumpenhusen. Bei einer solchen Erhöhung schrumpften die Einsparungen von rund 4 Millionen Mark durch die geplante Parlamentsverkleinerung auf 1 Million Mark. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, schätzt die Kostenbilanz sogar negativ ein. Nach ihrer Berechnung entstünden trotz Verkleinerung um etwa 30 Mandate Mehrkosten von einer Million Mark jährlich. „Einen solchen Coup“, so Künast, „muß man als Schildbürgerstreich bezeichnen.“

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