: In Berlin siegt das Volk auf der Straße
■ Der König erfüllt das Verlangen nach Pressefreiheit. Soldaten schießen, in den Straßen türmen sich Droschken zu Barrikaden. Schlechtgerüstete Bürgerinnen und Bürger drängen die Soldaten zurück
Berlin, 18. März 1848 (taz) – In Berlin hat das Volk gesiegt – zumindest vorläufig. Einen Nachmittag und eine Nacht haben die Barrikadenkämpfe gedauert, bis der preußische König den Befehl zum Rückzug seiner Truppen gab. Am Nachmittag war das Volk auf dem Schloßplatz zusammengeströmt, um zu hören, ob Friedrich Wilhelm IV. seine Forderungen nach Presse- und Versammlungsfreiheit, Aufhebung der Zensur und der Einberufung des Landtags endlich erfüllen möge.
Flugblätter des königstreuen Magistrats kursierten, ein „Pressefreiheitsgesetz“ nach den „freisinnigsten Grundlagen“ sei bereits unwiderruflich verkündet. Doch als man Truppen im Schloß erkannte, schlug die Stimmung um. Tausendfach ertönte der Ruf: „Militär zurück!“ Das genaue Gegenteil trat ein. Eine Kompanie marschierte auf, um den Platz zu „säubern“. Ein Schwadron Dragoner griff die Demonstration von der anderen Platzseite mit blanken Säbeln an. Zwei Schüsse, ob beabsichtigt oder aus Zufall, lösten sich. Mit den Parolen „Verrat!“ und „Zu den Waffen!“ stürmten die DemonstrantInnen auseinander.
In der ganzen Stadt entstanden in kürzester Zeit Barrikaden. Bis zum Abend gab es in Berlin kaum eine Straße oder Gasse, die nicht doppelt oder sogar dreifach verrammelt war. Droschken und Fuhrwagen wurden angehalten und umgeworfen, Tonnen, Balken, hölzerne Brunnengehäuse, Wollsäcke, Rinnsteinbrücken, Arbeitsgeräte aufgetürmt.
Der Monarch ließ in größter Hast ein Flugblatt drucken und verteilen, daß „nur zwei zufällig sich entladende Gewehre das entsetzliche Gerücht“ verursacht hätten, es werde auf das Volk geschossen. Spott und Hohn ernteten auch die drei Herren, die ein großes Stück Leinwand zwischen zwei Stäben auf dem Schloßplatz herumtrugen: „Ein Mißverständnis. Der König will das Beste“.
An den Barrikaden warteten die BürgerInnen auf das Militär, schlecht bewaffnet mit Mistgabeln, Holzäxten, Eisenstangen oder losgerissenen Planken. Ihre Zahl wurde auf auf etwa 2.000 geschätzt. Es gab jedoch viele tausend HelferInnen. Frauen und Kinder gossen Kugeln oder versorgten die KämpferInnen mit Essen. Dem standen auf Militärseite etwa 12.500 gutbewaffnete Soldaten gegenüber. Bei einbrechender Dunkelheit gegen 18 Uhr fuhren die Soldaten in der Königstraße Kanonen auf, schossen die Barrikaden zusammen und stürmten sie. Das aufgebrachte Volk brachte es jedoch fertig, die meisten Barrikaden bis in die Morgenstunden zu halten. Da geschah es: Der König gab den Befehl zum Rückzug. Jürgen Karwelat
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