Popränder der Köln-Connection

■ Das Label Karaoke Kalk mit experimentellen Elektronika im 103

Wer die Suchmaschine im Internet anwirft, landet mit der Wortkombination „karaoke kalk“ auf Anhieb über zwanzig Treffer. Die Platten von Karaoke Kalk werden von obskuren New Yorker Elektronika-Vertrieben gehandelt und auf Fan-Seiten mit Rezensionen bedacht. Nicht schlecht für ein kleines Label, das erst seit 1997 existiert und gerade mal fünf EPs herausgegeben hat. Gleich nach den ersten Veröffentlichungen erklärten sich Mouse on Mars und Scanner öffentlich zu Fans, das Kölner Magazin für Popkultur Spex solidarisierte sich ebenfalls.

Letzteres wird böswillig, aber wohl nicht ganz zu Unrecht schon mal als Kölner Stadtzeitung bezeichnet, und bei dem oben skizzierten medialen Verweissystem handelt es sich einmal mehr um das Phänomen Köln, bei dem einzig Scanner als Ausnahme die Regel bestätigt: Mouse on Mars sind Kölns derzeitiger popkultureller Exportschlager, und Karaoke Kalk stammen aus einem – wie es so schön heißt – rechtsrheinischen „Arbeiterviertel“ Kölns. Präziser aus Köln-Kalk.

Als Mitglied der Posse um den Kölner Club Liquid Sky arbeitete Labelgründer DJ Strobocop mit Ingmar Koch zusammen, den man in der Welt experimenteller Elektronik unter dem Namen Dr. Walker kennt. Um die Köln-Connection komplett zu machen, veröffentlichte Karaoke Kalk mit den Releases 1 und 2 unter dem Namen Kandis Tracks des Genf-Keyboarders Jens Massel. Kandis' Senking-EP weist musikalisch dann allerdings doch ein paar Kilometer rheinabwärts in Richtung Düsseldorf. Das titelgebende „Senking“ kabelt präzise auf einer Fluchtlinie entlang, die zu den immer noch unübertroffenen Meisterwerken von Pyrolator und von Der Plan in die frühen Achtziger zurückführt. „Senking“ simuliert einen dunklen, paranoiden Raum mit kaum definierten Drumsounds und Synthieklängen, die an die Maultrommelmodulationen der Düsseldorfer erinnern.

Auch auf den folgenden Kandis-, Saucer- und Motel-EPs dominieren eher minimale Sounds, während sich das rhythmische Spektrum getreu der Karaoke- Doktrin der Open-mindedness um Breakbeats in HipHop- und Drum-&-Bass-Geschwindigkeiten erweitert und mit den Innenansichten von Darkness in Form dunkler Orgelsounds herumspielt. Gleichzeitig oszillieren die Tracks zwischen dem Bemühen, die Rhythmusmaschinen dann doch ins Stolpern zu bringen, einer von den 80ern inspirierten Industrialstrenge und einer zurückhaltenden Funkiness, ohne dabei jemals wirklich den Dancefloor ins Auge zu fassen. Die eklektische Kombination verschiedenster Styles im Rahmen experimenteller Elektronika läßt an so was wie ein Konzept für Pop im Marginalen denken: Die Konstruktion eines kleinsten gemeinsamen Nenners, auf den sich alle einigen können, unter der Bedingung, daß „alle“ ziemlich wenige sind. Überprüfen läßt sich das heute im 103, wenn Saucer, Strobocop und Triple R an den Plattentellern drehen. Kandis wird live diverse Apparate bedienen, während der Rest sich über das freundliche Barpersonal des Clubs freuen darf. Ulrich Gutmair

Ab 22 Uhr im Club 103, Friedrichstraße 103, Mitte