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Last Exit Oberbaumbrücke

Serie: Die neuen Bezirke (Folge 3). Friedrichshain, so meint Noch-Bürgermeister Mendiburu, muß sich an das Kreuzberger Mulitkulti erst gewöhnen. Im künftigen Armenhaus Berlins befürchtet man Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen und Streit um jugendpolitische Konzepte  ■ Von Julia Naumann

„Daß ich immer direkt neben dem Friedrichshainer Bürgermeister Helios Mendiburu im Rat der Bezirksbürgermeister gesessen habe, beinhaltet eine Symbolik, die ich wohl nicht erkannt habe“, sagt Franz Schulz und grinst ein bißchen. Doch sonst hat der bündnisgrüne Kreuzberger Bürgermeister im Moment wenig zu lachen, und das zeigt er auch ganz deutlich. „Die Zusammenlegung Kreuzbergs mit Mitte wäre das kleinere Übel gewesen“, sagt er und starrt auf die vielen Stadtpläne und Karten, die in seinem Amtszimmer im Bezirksamt Kreuzberg hängen – so, als ob er die Bezirkszuschnitte durch seine wütenden Blicke noch verändern könnte.

Die Bezirksgebietsreform, die die Abgeordneten im Preußischen Landtag in der kommenden Woche beschließen sollen, beschert den beiden wenig wohlhabenden Stadtteilen Kreuzberg und Friedrichshain noch mehr Sorgen, als sie ohnehin schon haben. Schulz zumindest ist sich sicher: „Durch diese Fusion wird das größte Armenhaus der Stadt entstehen.“

Und Perspektiven, diese Zukunft zu verbessern, sind diesseits und jenseits der Spree, die die beiden Bezirke trennt, Mangelware. Einzige Chance: der Dienstleistungsstandort rund um die Oberbaumbrücke, wo derzeit einige Milliarden Mark investiert werden. Von dort aus könnten bei einem Doppelbezirk, so meint Schulz, noch stärkere wirtschaftliche Impulse nach Kreuzberg schwappen.

Tatsächlich sind die Fakten nicht besonders erfreulich: Die Arbeitslosenquote liegt in Kreuzberg bei 30 Prozent. Vor zehn Jahren waren es noch 17 Prozent. Von den 155.000 KreuzbergerInnen bekommen fast 25.000 Sozialhilfe. In Friedrichshain sieht es nur ein bißchen besser aus: Im Bezirk sind von 100.000 EinwohnerInnen 10.000 arbeitslos. Fast 5.000 bekommen Sozialhilfe. Obwohl auch Schulz' Kollege Helios Mendiburu (SPD) die Zahlen natürlich ganz genau kennt, ist er dennoch wesentlich optimistischer. Er hält „Kreuzhain“ zwar auch für eine „unglückliche Lösung“ und wäre lieber mit Lichtenberg zusammengegangen, hofft aber auf den geplanten Finanzausgleich, wonach die armen Bezirke zukünftig mehr Geld bekommen sollen. Mendiburu fordert pro Kreuzhainer 10 Mark Wertausgleich, also 2,5 Millionen Mark mehr im Jahr. „Wenn wir die aber nicht bekommen, dann sind die Ängste doch berechtigt“, sagt Mendiburu und guckt dann doch ein bißchen sorgenvoll.

Auch in bezug auf die nächsten Bezirkswahlen 1999 bleibt der Jetzt-noch-Bürgermeister des östlichen Teils lockerer als sein Kollege im Westteil. Denn würde das Wahlergebnis genauso ausfallen wie 1999, hätte „Friedrichsberg“ eine SPD-Mehrheit, die Grünen würden in Kreuzberg den Status der stärksten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) verlieren. Und dagegen machen die Bündnisgrünen mobil: Sie sammeln Unterschriften gegen die Bezirkszusammenlegungen, weil sie befürchten, daß „die politische Vielfalt wegen zweifelhafter Kostenersparnis“ verschwindet.

Daß zukünftig tatsächlich Geld durch weniger Verwaltung gespart wird, ist in Kreuzberg/Friedrichshain noch nicht erwiesen. Die Wege sind lang, die Verkehrsanbindungen schlecht – die Spree wird den Doppelbezirk weiterhin in zwei Hälften trennen und die Oberbaumbrücke die einzige Verbindung bleiben. Deshalb ist sich Helios Mendiburu sicher, daß trotz des einen Bürgermeisters auch weiterhin zwei Rathäuser existieren werden – das hellblaue Haus an der Kreuzberger Yorckstraße mit seinen zahlreichen Außenstellen und der erst vor einem Jahr bezogene supermoderne Verwaltungstrakt im Shopping-Center „Frankfurter Allee Plaza“, in dem schicke Computer blitzen und es immer noch nach frischer Farbe riecht.

Keinem Friedrichshainer könne es zugemutet werden, nach Kreuzberg zu fahren, um dort Sozialhilfe abzuholen, wettert Mendiburu. Und, das betont er immer wieder, die „Bürgernähe“ müsse bestehenbleiben und ausgebaut werden. Deshalb könne, wie in den Bezirksreformvereinbarungen vorgesehen, keinesfalls eine komplette Mitarbeiter-Grundaustattung mit 154 Stellen wegfallen. StadträtInnen und etliche der 45 AmtsleiterInnen würden in Zukunft zwar entbehrlich, bei den GruppenleiterInnen und SachbearbeiterInnen sei es aber schon problematischer. Denn die bei ihnen anfallenden Arbeiten müßten so oder so getätigt werden. „Für jeden Bezirk muß es deshalb eine Einzellösung geben“, fordert Mendiburu.

Verteilungskämpfe ganz anderer Art befürchtet man in Kreuzberg. Dort, wo die zahlreichen freien Kinder- und Jugendträger aufgrund der hohen Jugendarbeitslosigkeit und des hohen Ausländeranteils noch relativ gut gefördert werden, besteht jetzt die Furcht, daß nach einer Fusion die Mittel drastisch gekürzt und über die Spree verlagert werden – denn in Friedrichshain gibt es kein so reichhaltiges und buntes Angebot. Und ob die Träger – wie bei dem regelmäßig stattfindenden Kreuzberger Projekteplenum – im Doppelbezirk mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen so effektiv zusammenarbeiten werden, ist fraglich. Das sieht man auch an den Summen der Zuwendungsförderung für die freien Träger: In Kreuzberg sind es in diesem Jahr fast 11 Millionen Mark, in Friedrichshain nur knapp 6 Millionen. Ressentiments gibt es wohl auf beiden Seiten: Als im vergangenen Jahr die Jugendfreizeitheime Q-Free und Chip geschlossen wurden, wurde unter Friedrichshainer Streetworkern die Befürchtung laut, daß jetzt vermehrt nichtdeutsche Kids den Osten heimsuchen würden. Doch die trauten sich nicht über die Brücke.

Überhaupt ist das Mißtrauen gegenüber dem Einwanderungsbezirk groß. „Es gibt bei uns zwar keine Ausländerfeindlichkeit“, glaubt Mendiburu, „aber die Einstellung zum Fremden muß sich ändern.“ Die Friedrichshainer würden „kleinbürgerlich“ denken. Doch, so ist der Bürgermeister überzeugt, mit Hilfe von „Bezirksfesten“ (vielleicht auf der Oberbaumbrücke?) könne das bald geändert werden. „Dann sieht der Friedrichshainer, daß der Kreuzberger die gleichen Sorgen wegen der Arbeitslosigkeit und der Sozialhilfe hat“, ist Mendiburu überzeugt.

Nicht so optimistisch sieht das Cem Akyol, der beim kurdischen Elternverein in Kreuzberg arbeitet. „Hier in SO36 werde ich als Kurde mit deutschem Paß akzeptiert“, sagt er. Es sei zwar eher „ein Bauchgefühl“, aber er wisse nicht genau, wie FriedrichshainerInnen mit Menschen umgingen, die nicht „deutsch“ aussehen. Özcan Mutlu von den Kreuzberger Grünen kritisiert, daß die reichhaltige türkische Medienlandschaft das Thema Bezirksreform bisher überhaupt nicht thematisiert habe. Mutlu, der sich seit Jahren für die deutsch-türkische Europaschule einsetzt, sieht aber durchaus Chancen für ein Zusammenwachsen. Friedrichshain sei ein Bezirk, wo vermehrt MigrantInnen hinzögen, da die Mieten vielfach billiger seien. Nicht wenige nichtdeutsche Eltern mit einem hohen Bildungsniveau würden mittlerweile ihre Kinder nach Friedrichshain schicken, weil es dort in den Grundschulen noch viele Klassen nur mit deutschen Kindern gebe, erzählt er.

Bürgermeister Helios Mendiburu macht sich seinen eigenen Reim auf die KreuzbergerInnen. Er nennt die EinwohnerInnen jenseits der Spree eine „sehr tolerante Bevölkerungsgruppe“. Und diese KreuzbergerInnen sind ihm allemal lieber als die BerlinerInnen, die Anfang der 90er scharenweise in seinen Bezirk gezogen sind: die HausbesetzerInnen. „Mit denen haben wir keine gute Erfahrung gemacht“, findet er, „jetzt hoffen wir, daß wir das Positive aus Kreuzberg bekommen.“

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