: Maschinen lügen nicht?
■ Das Bundesverfassungsgericht will erneut den Einsatz von Lügendetektoren überprüfen
Freiburg (taz) – Das Bundesverfassungsgericht will über Lügendetektoren neu nachdenken. Dies geht aus einem jetzt bekanntgewordenen Beschluß des Gerichts hervor. Während Karlsruhe in dem Polygraphentest bisher einen Verstoß gegen die Menschenwürde erblickte, ließ das Gericht nun die Zulässigkeit ausdrücklich offen. Der bekannteste deutsche Polygraphen-Gutachter, Professor Udo Undeutsch aus Köln, bezeichnete die Entscheidung gegenüber der taz als „Durchbruch“. Ein Lügendetektor mißt körperliche Reaktionen wie Blutdruck und Schweißproduktion, um festzustellen, ob der Befragte wahrheitsgemäß antwortet.
Ausgelöst wurde die jüngste Entscheidung durch einen Fall am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz. Dort hatte ein Untersuchungshäftling, der wegen sexuellen Kindesmißbrauchs angeklagt war, seine Freilassung verlangt. Er berief sich dabei auf einen für ihn gut verlaufenen Test mit dem Lügendetektor. Das Oberlandesgericht ließ ihn jedoch weiter in Haft, weil dem Polygraphen-Test keine „den dringenden Tatverdacht entkräftigende Wirkung“ zukomme. Daraufhin erhob der Mann Verfassungsbeschwerde.
In seinem konkreten Fall hatte er zwar keinen Erfolg, doch erreichte er immerhin, daß sich das Verfassungsgericht von seiner früheren Rechtsprechung distanzierte. 1981 hatte Karlsruhe noch entschieden, daß der Angeklagte im Strafverfahren dann nicht zum Anhang einer Maschine gemacht werden dürfe, wenn er dies ausdrücklich wünsche. Jetzt heißt es dagegen: „Es kann dahingestellt bleiben, ob die bisherige Rechtsprechung [...] weiter Bestand haben kann.“ Zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Thema wird Karlsruhe bald Gelegenheit haben, denn es liegen noch zahlreiche ähnliche Verfassungsbeschwerden vor.
Begründet wurde das Abrücken von der alten Haltung mit einer Weiterentwicklungen der Untersuchungstechnik und der lebhaften Diskussion in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung. Tatsächlich hat der Lügendetektor inzwischen in zivilrechtlichen Verfahren schon gerichtliche Anerkennung gefunden. Dort geht es meist um die Frage, ob ein Vater unter Mißbrauchsverdacht weiter Umgang mit seinem Kind haben darf.
Die Befürworter der vor allem in den USA populären Technik bahaupten, daß ihre Treffsicherheit bei 95 Prozent liege. Gegner bezweifeln jedoch, daß man das Ergebnis von Laborversuchen in die Realität des Strafprozesses übertragen kann. (Az.: 2 BvR 1211/97) Christian Rath
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