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"Sparpolitik aus dem Tollhaus"

■ Hunderte Mitarbeiter und Eltern von freien und konfessionellen Kindertagestätten gingen auf die Straße. Platzgeldkürzungen gefährden Existenz der Einrichtungen. Jugendsenatorin: Nur "Gleichstellung" mit staa

Die Kitas der freien Träger sowie der katholischen und evangelischen Kirche machen mobil: Mit Blechtrommeln und Plakaten zogen gestern Hunderte Kinder, Eltern und ErzieherInnen auf die Straße, um gegen die geplanten Kürzungen bei den Kindertagesstätten freier Träger zu protestieren. Der Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden e.V. (Daks) sowie die evangelische und die katholische Kirche hatten in mehreren Bezirken zu Aktionen aufgerufen.

Der Senat will in diesem Jahr 24 Millionen Mark durch die Kürzungen bei den Kitas freier Träger einsparen. Zusätzlich zu bereits laufenden Kürzungen soll ab dem 1. April das sogenannte Platzgeld – der Betrag, den die Betreiber einer Kita für jeden belegten Platz aus öffentlicher Hand erhalten – um 100 Mark pro Ganztagsplatz und Quartal gemindert werden. Die Eltern sollen aus eigener Tasche dafür zahlen, doch das können viele nicht: Für so manche Kita freier Träger, die immerhin rund ein Viertel des Gesamtbedarfs decken, bedeuteten die Kürzungen das Aus, erklärt Norbert Bender, Mitgliedsbeauftragter beim Daks.

Der gesetzlich vorgeschriebene Elternbeitrag liegt für alle Kitas bei zehn Prozent der Gesamtkosten. Während die öffentliche Hand in einer kommunalen Kita derzeit etwa 90 Prozent der Kosten zuschießt, sind es bei den Einrichtungen freier Träger lediglich 70 Prozent. Bei den kommunalen Einrichtungen sind die Einnahmen somit gedeckt, die freien Träger müssen die Finanzierungslücke von 20 Prozent selbst finanzieren.

Schon jetzt wird daher in etlichen Kinder- und Schülerläden ein großer Teil des Tagesgeschäfts von den Eltern geregelt, und zwar unentgeltlich und in Eigenregie. Putzen, Kochen, Waschen, Renovieren, aber auch Verwaltungsaufgaben und die Vertretung von kranken ErzieherInnen gehörten dazu, wie Roland Kern vom Kinderladen „Pustekuchen“ in Prenzlauer Berg erzählt. Statt der vorgeschriebenen 99,75 Mark, so Kern, würden er und die anderen Eltern außerdem bereits 211,04 Mark pro Monat zahlen. An Einsparungen sei nicht zu denken, empört sich der Vater. Die Kürzungen seien „Sparpolitik aus dem Tollhaus“.

Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) verteidigt die geplanten Einsparungen als „unumgänglich, da die Haushaltskonsolidierung in ihrer Verwaltung zu Ausgabenkürzungen in allen Bereichen zwinge. Die freien Träger, so Stahmer, würden durch die aktuellen Sparmaßnahmen nicht höher belastet als die öffentlichen Träger, deren Platzgelder bereits 1992 beziehungsweise 1994 gekürzt worden seien. „Die Einrichtungen freier Träger sind jahrelang priviligiert worden und konnten sich auf die bevorstehenden Kürzungen einstellen“, so Stahmers Sprecherin Rita Hermanns. Jetzt gehe es um „Gleichstellung“. Für den Daks- Beauftragten Norbert Bender ist das „blanker Hohn“. Weder Inflation noch gesetzliche Tarife seien in den letzten Jahren bei den nur zögerlichen Platzgeldanpassungen für die freien Träger berücksichtigt worden. In den Kitas sei „einfach nichts mehr zu holen“, hält er den Forderungen der Jugendverwaltung nach einer pauschalen Kostenminderung auch beim Personal entgegen: „Wo kein Wirtschaftspersonal ist, kann auch keins eingespart werden.“ Kerstin Marx

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