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Wir lassen lesenEin Guru sucht Jünger

■ Fitneß-Unternehmer Werner Kieser will sich zum Philosophen hochschriftstellern

Am richtigen Training scheiden sich die Geister. Was der eine propagiert, hält der andere für ausgesprochen unsinnig. Fest steht: Was populär ist und entsprechend vermarktet wird, muß nicht immer gut und gesund sein. So denkt auch Werner Kieser. Der Schweizer („Kieser-Training“) hat es mit seinem „entsportlichten Krafttraining“ zu einer beachtlichen Aufmerksamkeit gebracht. Sogar das FAZ-Magazin widmete dem Mann, der Krafttraining als Körperhygiene betrachtet und mit der Zahnsteinentfernung vergleicht, eine mehrseitige Farbbeilage. 15mal gibt es „Kieser-Training“ in der Schweiz, in Deutschland sind bislang sechs Studios eröffnet (Bremen, Frankfurt, Köln, München, zweimal Hamburg). Kieser ist erfolgreich, auch wenn er angeblich widerwillig zum aufstrebenden Unternehmer wurde, um nicht als Pleitier zu enden.

Auf den ersten Blick ist das Krafttraining, wie es Kieser versteht, sympathisch. Kieser verspricht in einer aufs Wesentliche reduzierten Umgebung nichts außer Muskelarbeit. Gemütlichkeit, Ambiente – Dinge auf die Kieser bei der Konzeption seiner Betriebe keinen Wert legt. Weiße Wände kommen nüchtern daher, ideal sind ehemalige Fabriketagen. Kommunikation ist nicht gefragt, bunte Energyshake-Theken sind bei Kieser tabu. Show und Amüsement sollen fernbleiben, und seine Kunden kommen auch deshalb. Nicht jeder ist narzistisch veranlagt. Kieser steht für Konzentration aufs Training.

Einige von Kiesers Theorien (Kraft kommt vor Koordination; ein starker Rücken kennt keine Schmerzen) erscheinen Experten allerdings höchst fraglich. Von solchen Gegnern fühlt sich Kieser notorisch verfolgt. Einen Abschnitt seines Buchs widmet er dem „Expertensyndrom“. Ein Experte reagiere laut Kieser auf eine neue Idee in fünf Stufen: Totschweigen, Abwerten, Verleumden, Stehlen und Lügen. Kieser, der keinen anderen neben sich duldet, hat einstecken müssen und kann austeilen.

Von Sport als Therapie hält Kieser nichts. Es gebe keine Segnungen des Sports, schreibt er. Der Buchtitel „Die Seele der Muskeln – Krafttraining jenseits von Sport und Show“ klingt trotzdem gut und wird sich sicherlich verkaufen. Aber mehr als Werbung für Kiesers Sache ist darin kaum zu finden. Er liebt sich als Philosoph („Nur wer mit Steinen wirft, entkommt dem Glashaus“) und Literat („... die Lava des Okkulten wälzt sich ins Ende des Jahrhunderts, die Vernunft verdampft“) und verkommt zum Selbstdarsteller. Fünf Seiten sind nötig, um die Entstehung seines selbstreinigenden Duschraums aus Edelstahl zu beschreiben. Nicht mehr amüsant ist hingegen, mit welcher Bedenkenlosigkeit Kieser sich fragwürdiger Theorien bedient. So diskreditiert er die Lehrmeinung, daß die Menge der zeitlebens verbrauchten Kalorien in Zusammenhang mit der Lebensdauer steht, als „verunsichernde These“.

Die Jünger der Kieser-Tempel dagegen seien „Menschen mit kritischem Blick und wachem Verstand“. Der Mann, der gegen „die grassierende Entmündigung des Individuums durch Medien und Experten“ ankämpft, geriert sich in seinem neuen Buch wie ein Guru. „Wo es um unser leibliches Wohl und um unsere Gesundheit geht, sollten wir uns nicht vertreten lassen. Experten und Berater aller Art sind mit Vorsicht zu genießen.“ Ja, genau. Oliver Kauer

Werner Kieser: „Die Seele der Muskeln - Krafttraining jenseits von Sport und Show“. Walter Verlag, 160 Seiten, 29,80 DM

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