: Die Kranzablage wird zum Problem fürs Protokoll
■ Wohin wohl bittet die Nation in Zukunft zum Gedenken, zum Mahnmal oder zur Neuen Wache?
Es nieselte leicht am Volkstrauertag im vergangenen November, als Gerhard Schröder seinen Kranz niederlegte. Der Ort war die Neue Wache in Berlin, die zentrale Gedenkstätte für die „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, der Anlaß war staatsmännische Routine, Schröder als amtierender Bundesratspräsident eher ein Nebenakteur inmitten der versammelten Staatsspitze. Das Zeremoniell von Gedenktagen, aber auch von Staatsbesuchen könnte in Zukunft anders aussehen: als Bundeskanzler stünde Gehard Schröder im Zentrum der Aufmerksamkeit – und womöglich wäre dieses Zentrum das Holocaust-Denkmal und nicht mehr die Neue Wache.
Noch will sich im Schröder-Lager niemand zu der heiklen Frage äußern, wohin die Nation unter einem Kanzler Schröder ihre Staatsgäste zur Kranzablage bitten würde. Doch daß sich zumindest am Zeremoniell etwas ändert, ist wahrscheinlich. „Protokoll ist Dienstleistung“, heißt es in der Staatskanzlei zu Hannover, „und zwar nicht nur für Staatsbesucher, sondern auch für die Bürger.“
Also bei Schröder-Idol Tony Blair Ideen für mehr Bürgernähe abkupfern? „Wir machen das schon länger als der Tony Blair!“ In Niedersachsen fällt selbst bei Besuchen von ausländischen Regierungschefs das Protokoll bereits eher knapp aus: „Bei uns gibt's kein Trärä“, sagt ein Beamter der Staatskanzlei. Auch CDU-Politiker wie der Berliner Kultursenator Peter Radunski wünschen sich für die Republik nach dem Umzug aus Bonn eine neue diplomatische Etikette. Das ewige Fahnegrüßen und Abschreiten von Ehrenformationen, heißt es in Radunskis Umgebung, sei kaum mehr zeitgemäß.
Für Schröder wäre der protokollarische Umbau der Republik jedenfalls keine Premiere. Ein Staatskanzlei-Insider verweist spöttisch auf das Zeremoniell unter Schröders Vorgänger in Niedersachsen, Ernst Albrecht: „Hier herrschte früher ja auch eine Atmosphäre von röhrendem Hirsch vor.“ Patrik Schwarz
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen