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Wie, was, Euro? Dollar!

Die Europawährung kommt auch in Gegenden, die der Durchschnittseuropäer erst einmal auf der Landkarte suchen muß. Etwa das französische Überseedepartement Guyana. Hier wird es der Euro besonders schwer haben, denn selbst wenn der Franc bislang die offizielle Währung ist, laufen die wichtigen Geschäfte alle in US-Dollar. In St. Laurent du Maroni war Dorothea Hahn

Sind die in Palis denn nicht mehr mit dem Flanc zuflieden?“ fragt der kleine Mann verblüfft. Er hat gerade zum ersten Mal in seinem Leben vom Euro gehört. Dabei war doch neulich erst „Madame Chilac“ persönlich einen ganzen Tag lang in Guyana zu Besuch, „und sie hat kein Wort davon gesagt“. Jetzt rätselt er laut, was dieser Euro wohl bringen soll und warum „die“ dann nicht gleich den US-amerikanischen Dollar nehmen, wo der doch „so praktisch“ ist.

In St. Laurent du Maroni, wo Jacobi Sepina einen öffentlichen Park beharkt, ist Paris 8.000 Kilometer weit und Lateinamerika, genauer: Surinam, nur eine Überfahrt mit dem Einbaum über die breiten, braunen Wasser des Maroni entfernt. Aber Europa, genauer: Frankreich, ist auch hier. Jacobi Sepina, Nachfahre in den Urwald geflohener Sklaven, in dessen Muttersprache Taki-Taki das „r“ unbekannt ist, arbeitet als Gärtner für den französischen Staat.

Die Trikolore flattert über allen Dienstgebäuden. Die Gesetze, das Geld, die Sozialhilfe, die meisten Patrons und die Amtssprache kommen aus Frankreich. Und natürlich bekommt Guyana, Frankreichs flächenmäßig größtes Departement, dessen äquatornahe Lage Europa für seine Raketenstarts nutzt, auch den Euro.

In den klimatisierten Büros der Post in Guyana liegen seit Wochen Faltblätter aus, die in Paris gedruckt wurden. Sie erklären fast alles: wann der Euro kommt, warum und für wen. Eine Europakarte zeigt die Grenzen seines Verbreitungsgebietes. Guyana ist darauf nicht eingetragen.

Die Debatte über den Euro läßt das Departement im Amazonasgebiet kalt. Wenn Guyaner über ihre wirtschaftliche Zukunft diskutieren, sprechen sie über den karibischen Zusammenschluß, Caricom, von dem sie ausgeschlossen sind, weil sie kein unabhängiges Land sind. Über ihre direkten Nachbarn Brasilien und Surinam, zu denen sie fast keine Beziehungen haben, weil alles über Paris läuft. Und darüber, daß in Guyana heute keine einzige größere Industrie und nicht einmal landwirtschaftliche Produktion existieren. Der einzige große Betrieb ist das Raumfahrtzentrum von Kourou. Und das hat den Status einer Forschungseinrichtung, die kaum Steuern zahlen muß.

Wer in Guyana eine Hühnerzucht aufmachen will und dafür Kredite braucht, muß sich an europäische Normen halten. Er muß nicht nur die Hühner, sondern auch die Futtermittel importieren. Ganz egal, ob es in den Nachbarländern tropentaugliche Geflügelsorten gibt. Wer in Guyana Portugiesisch studieren will, macht das in Paris. In das benachbarte Brasilien führt bislang nicht einmal eine Straße. Und Flugverbindungen gibt es nur in die verarmten brasilianischen Nordprovinzen, woher viele Immigranten kommen.

In den guyanischen Supermärkten, die die Namen großer französischer Ketten tragen, stammen die Bananen aus Martinique, die Plastiksandalen kommen aus China, selbst die „tropischen Fruchtsäfte“ sind importiert. Guyanas eigene Wirtschaft liegt am Boden. Genauer: Sie hängt am europäischen Tropf. Wie die Joghurtfabrik, die mit Hilfe aus Brüssel französisches Milchpulver verarbeitet. Oder die Crevettenfabriken, die pro Kilo Crevetten sechs Franc EU-Zuschuß brauchen.

Das war nicht immer so. Bis in die 50er Jahre hatte das Land noch eine gewisse Plantagenwirtschaft und sogar einige Fabriken, die Zucker, Parfüm und Tabak aus eigenen Rohstoffen erzeugten. Die Crevettenbranche mit einer eigenen Flotte war sogar noch bis Anfang der 80er Jahre unabhängig. Dann machte die EU ihre Meereshoheit auch vor dem südamerikanischen Departement geltend und die neuen Exportpreise verriegelten den zuvor großen amerikanischen Markt. Es gab Massenentlassungen und eine mühsame Umstrukturierung. Heute geht fast der komplette guyanische Crevettenexport in französische und spanische Supermärkte.

Die sofortige Unabhängigkeit will trotzdem fast niemand in Guyana. Nicht einmal die erklärten Befürworter eines Staates Guyana. Sie verlangen nach Übergangsstrukturen, die das Land erst für die Unabhängigkeit befähigen können. „Wenn Frankreich morgen ginge, würde das hier schlimmer als die Sahel-Zone“, erklärt einer von ihnen.

Auch die guyanischen Patrons, die merken, wie der Geldfluß aus Frankreich immer dünner wird, suchen nach neuen Wegen, um ihre Betriebe zu halten. „Ökonomisch“, so der Bauunternehmer David Donzenac, „war Frankreich für uns eine Katastrophe, auch wenn es sozial viel gebracht hat.“ Der Arbeitgeberverband will niedrigere Löhne, um mit den Nachbarländern konkurrenzfähig zu werden, wo die Arbeiter bis zu zehnmal weniger verdienen als in Guyana, das die französischen Mindeststandards einhalten muß.

Vom Euro erwartet in Guyana niemand die Lösung. Für die angestrebten Beziehungen auf den regionalen Markt könnte er die Dinge sogar noch verschlimmern. Denn da bestimmt der Dollar alles. Sowohl bei offiziellen Geschäften als auch bei der stets wachsenden Parallelwirtschaft. Auch das Drogengeschäft, das aus Surinam kommend immer mehr Terrain in Guyana gewinnt, das als Eingangstor nach Europa dient, läuft auf Dollarbasis ab.

Für die beiden Unabhängigkeitsorganisationen MDES und PNPG ist der Euro bloß eine „andere Form der Hegemonie“. Die Patrons wollen erst sehen, „wie er sich als Tauschmittel in der Dollarzone etabliert“, und ob er ihnen trotz der brasilianischen Konkurrenz den Zugang auf den europäischen Markt sichert.

Der Gärtner Jacobi Sepina in St. Laurent du Maroni hat ein wenig an seinem bunten Ring gedreht – „das ist Lasta, wegen Aflika“ – und dabei ist ihm nach seiner anfänglichen Verblüffung über die Neuigkeit noch etwas Neues zum Euro eingefallen: „Vielleicht“, sagt er, „ist das ja eine gute Sache.“

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