: Pinup-Euro
Werbung ist die Lehre von der Wiedererkennung. Was man aber gar nicht kennt, kann man auch nicht wiedererkennen, und gerade bei Zahlungsmitteln ist das ein denkbar mißlicher Zustand, der zu Recht mit Ängsten verbunden ist.
Da es aber nun den Euro noch nicht in Käuferhänden gibt, dachten Europäische Kommission und Europäisches Parlament bei sich, ist da etwas zu tun. Das Ergebnis ist ein 1998er Wandkalender, jawohl, ausgerechnet ein Wandkalender, der die Scheine und Münzen lustig in bunte Bildchen einbaut, jeden Monat eins, von einer Originalität, die auf den Magen schlägt.
Eine Euro-Münze etwa ist rund. Rund ist – na, wer weiß es? – ein Rad! Ungeahnte Möglichkeiten! Jan Ullrich! Inline-Skater! Oh Freuden der Spätmoderne, ein Rad! Oh wundersamer Fortschritt der Menschheit, ein Rad! So dachte sich das Designerpaar Helmut Langer und Marina Langer- Rosa – und malte ein Fahrrad und einen Inline-Skater mit Euro-Rädern.
Kalenderdesigner interpretieren Geldscheindesigner, und weil letztere recht einfallslos auf alle Euro-Scheine irgendwelche europäischen Brücken- und Torbögen draufgepackt haben, ist das gar nicht so einfach. „Laß uns noch blöder sein“, muß Helmut Marina vorgeschlagen haben. Und so gingen sie ans Werk. Da öffnen sich Fenster, und eine Sonne mit 20- Euro-Scheinen auf den Augen lacht herein. Hände wachsen aus Deichen und umklammern 50 Euros, darüber flattern Möwen, und in der Ferne geht – natürlich – schon wieder die Sonne auf. Oder unter, ganz wie's beliebt.
Und so weiter, Monat für Monat, in Farben, die an die Außenkacheln von DDR-Kaufhallen erinnern. Und damit auch jeder wiedererkennt, was sich die Agentur gedacht hat, sind unten auf den Seiten auch noch die Original- Geldscheine abgebildet. Was das für ein Geld kostet!
Und überhaupt: Wer, bitte, hängt sich denn Abbildungen von Geldscheinen ins Wohnzimmer? Oder in den Spind? Immerhin, schon Marx sprach vom Fetischcharakter des Geldes. Ist gar der Euro das Pinup-Motiv des beginnenden 21. Jahrhunderts, der schlicht elegante Ersatz für weibliche Brüste und männliche Waschbrettbäuche, für Hackenschuhe und arschfreie Männerslips? Wer guckt so was an? Onanierende Eurokraten? Da soll sich doch niemand wundern, daß manche Pessimisten mit der Währungsunion den Untergang des europäischen Abendlandes prophezeien. Bernd Pickert
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