: „Nächstes Mal sind wir doppelt so viele“
Vielen ist ungemütlich geworden in Ahaus nach dem letzten Castor-Transport. Die Erfahrungen mit dem Polizeieinsatz hinterlassen tiefes Mißtrauen. Die Castor-Gegner sehen sich im Widerstand gestärkt ■ Aus Ahaus und Münster Constanze v. Bullion
„Unserem Stadtdirektor“, sagt Wilhelm Röttger und betrachtet zerstreut das Werkzeug im Regal, „dem sollte man eine Villa über dem Zwischenlager bauen. Da kann er dann seinen Lebensabend verbringen.“ Eigentlich ist der stämmige Kraftfahrer diesen Samstag in Bettings Mühle an der Ahauser Bahnhofstraße gekommen, um sich in dem Baumarkt nach Ersatzteilen zu erkundigen. Wasserpumpen und tolle Rasenmäher gibt es hier, aber Herr Röttger ist nicht recht bei der Sache. „Das Geld für diesen Polizeieinsatz“, sinniert Röttger, „hätte man besser bei einem Stadtfest verjubeln können. Auch wenn hier keiner so recht in Partylaune ist.
Der Castor ist drin, in Ahaus herrscht Katerstimmung nach dem Großeinsatz der Polizei. Nur ein paar Meter hinter Bettings Mühle sind am Freitag abend sechs Castoren ins Zwischenlager gerollt. Wie eine giftige Silberschlange hat der schwerbewachte Zug sich im Schrittempo durch die Stadt geschoben, das Knattern des Hubschraubers, den Lichtkegel auf den beiden Diesellokomotiven, das Pfeifkonzert der Demonstranten und das ganze gruselige Spektakel drum herum hat Wilhelm Röttger live miterlebt. Im Fernsehen. Er hat sich noch ein Bier eingeschenkt und plötzlich an den Herrn Stadtdirektor denken müssen. Ein Haus in der fernen Eifel soll der sich kürzlich gekauft haben. „Die Ratten“, hat Röttger gedacht, „verlassen das sinkende Schiff.“
Vielen ist ungemütlich geworden in Ahaus. Dabei hat sich vor zwanzig Jahren nicht nur Stadtdirektor Heinz-Robert Jünemann, sondern so gut wie die ganze Gemeinde stark gemacht für das Zwischenlager. Doch spätestens nach dem jüngsten Castor-Transport ist den meisten hier klargeworden, daß sie gefoppt worden sind. Statt schwach strahlenden AKW- Schrotts aus der Gegend kommt jetzt heißer Strahlenmüll aus Süddeutschland, und aus dem Zwischen- wird womöglich ein Endlager werden.
Als ihre Kinder klein waren, sagt Elisabeth Sonntag und schwingt sich draußen vor der Stadthalle auf ihr Fahrrad, da hat sie damals drinnen in der Halle gesessen und protestiert. Jetzt sind die Kinder groß, „und den Ahausern tut es leid, daß sie nicht schon früher Power gemacht haben“.
Power haben in den letzten Tagen rund fünftausend Demonstranten gemacht, haben Schienen besetzt, die Gleise unterhöhlt und sich lautstark über die Polizei beschwert, die kräftig zulangen durfte. Eine Rollstuhlfahrerin sei rücksichtslos von den Einsatztrupps umgerempelt worden, erzählen die einen. Im Stadtzentrum haben Beamte zwanzig Leute nur aus Daffke in einer Frittenbude eingesperrt, wissen andere. Ein Demonstrant soll mit Schädeltrauma im Krankenhaus liegen. „Ich habe von den Blockierern keinen scharfen Spruch gehört“, berichtet eine Ahauser Rentnerin, „und dann kommen diese Polizisten aus Berlin und hauen einfach drauf. Das ist doch entsetzlich.“
Bei der Polizei sieht man das etwas anders. Der Castor ist kaum eingefahren, da loben sich die Einsatzleiter schon vor versammelter Presse. 380 wurden festgenommen, 700 sollen „gewaltbereit“ gewesen sein, 11 wurden leicht verletzt, und der Demonstrant, dem ein Einsatzwagen über die Hand gefahren ist, sei selbst daran schuld.
Beileidsworte spricht der Münsteraner Polizeipräsident Hubert Wimber noch der Familie des toten BGS-Beamten aus, „überhaupt kein Triumph“ sei dieser Tag. Doch dem Mann mit dem müden Hundeblick ist die Erleichterung anzusehen. Der „besonnene und umsichtige Einsatz“ seiner Leute und der „friedliche Protest der Demonstranten“ habe die Deeskalationsstrategie aufgehen lassen. „Ausgezeichnet“, bellt BGS-Chef Mathias Seeger, sei die Zusammenarbeit mit dem grünen Polizeipräsidenten gewesen.
Aber auch im Büro der BI reklamiert man inzwischen den Sieg für sich. Immerhin haben die HelferInnen in kürzester Zeit um die sechstausend DemonstrantInnen mobilisiert. „Daß die ihren ganzen Transportplan umgeschmissen haben und hier mit über zwanzigtausend Beamten, Hunden und Hubschraubern anrücken müssen, zeigt doch, daß sie an den Ahausern nicht mehr so einfach vorbei können“, freut sich Arthur Laumann. Reichlich abgekämpft sieht der Zivildienstleistende am Samstag morgen aus, die letzten 48 Stunden im BI-Pressebüro waren ein organisatorisches Marathon. Zeitweilig brachen hier sämtliche Leitungen zusammen, die ganze Republik wollte informiert werden. Aber der Widerstand ist ein gutes Stück professioneller geworden. „Falls noch mal ein Castor kommt“, sagt Laumann, „sind wir hier doppelt so viele.“
Der Protest geht weiter – schon am nächsten Tag in Münster und am Sonntag mit dem traditionellen Sonntagsspaziergang am Zwischenlager. Der Castor ist drin, aber das hat Marianne und Ludwig Waldmann aus dem oberpfälzischen Schwandorf nicht davon abhalten können, um fünf Uhr morgens in den Bus zu klettern und zur Demo nach Münster zu fahren. Im Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf haben die ergrauten Bayern sich gestählt, und daß aus der Auftakt- nun eine Abschlußdemo geworden ist, kann die Laune nicht verderben. „Stoppt die Atommafia – weltweit“ steht auf dem Transparent, das sie durchs schmucke Münster tragen. Ludwig Waldmann, ein Maschinenschlosser mit weißem Rauschebart und Seppelhut, marschiert immer wieder auf die Uniformierten zu, um sich zu beschweren. „Uns hams den ganzen Bus gefilzt, des ist doch eine Sauerei“, schnauzt er einen konsternierten Beamten am Straßenrand an. „Daß die uns hier mit ihrer Übermacht demoralisieren“, sagt Waldmann, „des derf net sein.“
In den Straßen von Münster hält sich die Polizei indes weitgehend zurück, von Randale kann keine Rede sein. Bei strahlendem Sonnenschein haben sich laut offiziellen Angaben achttausend AtomkraftgegnerInnen auf die Socken gemacht, Familien mit Kindern, übernächtigte DemonstrantInnen im Piraten-Outfit und Kirchengruppen sind unterwegs.
Daß eine katholische Gemeinde den Umschwung der öffentlichen Meinung im Münsterland angeschoben hat, freut Marianne Waldmann. Sie war in Wackersdorf jeden Sonntag bei der Andacht gegen die WAA. Und hat erlebt, wie „wir braven Bayern endlich gelernt haben, was Politik ist“. Höchste Zeit sei es, daß auch die Nordlichter aufwachen. An die Versprechen der Polizei zu glauben, das müsse man sich abschminken. „Die Milch der frommen Denkart“, zitiert Ludwig Waldmann frei nach Schiller, „haben die mir schon lange vergiftet.“
Und die Ahauser? Die sind am Sonntag mittag schon wieder bei der nächsten Kundgebung. Rund zweihundert Demonstranten aus dem Camp X4 versammeln sich vor dem Zwischenlager, um eine Polonaise in die Stadt zu veranstalten. Die Show muß schließlich weitergehen.
Bis zum nächstenmal.
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