: Die Jagd auf den Berggorilla
Je mehr die Christiansen-Show scheitert, desto mehr sinnen die vertriebenen ARD-Kulturredakteure auf Rückkehr auf ihren vertrauten Sendeplatz ■ Von Georg Löwisch
„Ich darf Ihnen noch den Hinweis geben“, sagt Sabine Christiansen kurz vor Schluß ihrer Sendung, nämlich „auf den Kulturreport“. Die Moderatorin lächelt freundlich. In den Ohren der ARD-Kulturredakteure muß der freundliche Satz indes klingen wie blanker Hohn. Seit Sabine Christiansen zu Jahresbeginn allsonntagabendlich im ARD-Programm talkt, herrscht nämlich Krieg in der ARD. Der Grund: Für den Sendeplatz des einstigen „Tagesthemen“-Stars wurden kurzerhand die vielgelobten und vielgesehenen Kulturmagazine am Sonntagabend abgeräumt und auf die nächtliche Stunde um viertel vor elf verschoben. So daß Sabine Christiansen am Ende noch einen Hinweis über die Kulturfuzzis verlieren kann. Mal im kollegialen Ton wie am vergangenen Sonntag, mal mit hilflosem Lächeln wie zwei Wochen früher: „Jetzt kommen die Kollegen von der Kultur, und die wollen wir wahrlich nicht aufhalten und nicht verzögern.“
Da haben die „Kollegen von der Kultur“ aber eine andere Wahrnehmung. Und je mehr die allsonntagabendliche „Sabine Christiansen“ scheitert, desto lauter regt sich in den ARD-Sendern das Gegrummel, hier wurde ein Aushängeschild für einen zweifelhaften Rohrkrepierer ins trübe Hinterstübchen gehängt. „Das schmerzt noch mehr, wenn man sieht, was für ein Scheiß das ist“, sagt ein Redakteur über den Zuschauerverlust durch die Christiansen-Sendung. Seit die Ex-„Tagesthemen“- Moderatorin auf „ihrem“ Platz sendet, haben die Kulturmagazine im Schnitt nur noch rund 1,2 Millionen Zuschauer – vorher waren es fast doppelt so viele.
„Das größte Programmvorhaben des Jahres“ hatte die Christiansen-Show nach den Worten von ARD-Programmdirektor Günter Struve werden sollen – doch nach den ersten zwölf Sendungen schwadroniert Struve immer noch davon, daß sich das Format entwickeln müsse. Und Redaktionsleiter Jörg Hafkemeyer läßt über Redakteure und Moderatorin immer noch wissen, „alle müssen sich daran gewöhnen“. Das einzige, was an der Sache bislang stimmt, ist die Quote. Den angestrebten Zuschaueranteil von zwölf Prozent schafft Christiansen mit im Schnitt 3,2 Millionen Zuschauern spielend. Medienbeobachter, etwa von der FAZ, können das nur „mit voyeuristischer Schadenfreude erklären“: „Man schaut hin, weil es die peinlichste Sendung der Woche ist.“ Rezensenten zählen genüßlich die Fehler, und selbst in den Fluren und Gremien der ARD-Sender ist es zum beliebten Sport geworden, sie sich gegenseitig vorzurechnen. Eine Redaktion, die ihm Christoph Schlingensief und Karl Dall zusammen einladen würde, so wie jene von Frau Christiansen, merkte etwa der ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer an, die würde er entlassen. Die Programmdirektoren streiten sich bei ihren Schaltkonferenzen regelmäßig über die Sache Christiansen.
Dazu fehlte nur noch die von der Bild am Sonntag programmgemäß angezettelte Geld-Neid- Debatte um den ARD-Vertrag, mit dem die Moderatorin „für immer ausgesorgt“ habe. Gerade noch mit der Bild-Zeitung pflegt die Redaktion eine Art Stillhalteabkommen, wie zu hören ist.
Bei all dem Gespött über Christiansen ist es kein Wunder, daß die Kulturleute Morgenluft wittern. „Ich wünsche mir, daß die Kultur wieder einen Platz in der Mitte des Programms findet“, sagt WDR-Kulturchef Michael Schmid-Ospach. Ein böses Wort über Sabine Christiansen möchte er freilich keinesfalls verlieren, wie er extra noch einmal sagt.
Auch wenn der Kulturmann so vorsichtig ist, wird ihm aus dem Kreis der letzten Christiansen- Recken nachgesagt, er organisiere eine „Kampagne“ gegen die Dame. Einen Punkt machte Schmid-Ospach letzte Woche, als der SFB- Rundfunkrat sich glühend für die Kultursendungen stark machte: Eine „verbesserte“ Christiansen- Talkshow werde einen späteren Sendeplatz eher vertragen als die Kultur. „Herausragende Militanz“, „irrational“, „unbegreiflich“ wütete ARD-Programmdirektor Günter Struve zurück und suchte bündig jede Debatte zu verbieten: „Die Sendung steht nicht im geringsten zur Diskussion.“
Die Kultur, sagt Struve, ein alter Meister im Quotenschönbeten, habe ja gar nicht viel verloren. Denn zur späten Stunde guckten eben nur noch jene, die „wirklich kulturinteressiert“ seien. Ein anderer ARDler analysiert kundig: „Nach dem Tatort gingen viele pinkeln und Bier holen und schalteten den Kulturreport erst weg, als sie wieder im Sessel saßen“ – nur so seien die guten Zahlen für die Kultur zustande gekommen.
Viele Kulturredakteure sind angesichts solcher Rechenspiele „erbost“, und auch von Struves These, „meine Freunde von der Kultur“ würden ja bei 3sat gut bedient. „Die Grundwerte des Ersten“, returniert Schmid-Ospach, könnten nicht durch Sparten kompensiert werden. Ein Kultur-Kollege meint, Struve habe eben den „Illustrierteneffekt“ nicht verstanden. Viele kauften zum Beispiel den Stern nicht wegen der Kulturseiten, würden sie aber lesen. „Wenn der Stern seine Kulturseiten abschafft, kaufen die sich doch nicht eine Kulturzeitschrift.“
Im Umfeld von Christiansen wird berichtet, Struve sei „stinksauer“. Er lasse sich doch nicht das eigene Programm anpinkeln. Indes träumen Kulturreport- Mitarbeiter davon, daß die ARD- Intendanten das „Thema im Frühsommer noch mal aufmachen“. Christiansen könnte auf einen anderen Wochentag geschoben werden – oder auch die Kulturmagazine. Die ARD-Intendanten warten währenddessen noch ab. Nur WDR-Chef Fritz Pleitgen erinnert daran, er sei von vornherein für einen anderen Sendeplatz für Christiansen gewesen – jetzt wünsche er der Sendung aber „alles Gute“.
Solche Wünsche kann sie brauchen: „Jeder Berggorilla“ werde doch heutzutage gehegt und gepflegt, fragte unlängst gequält Kulturträger und Fernsehverächter Walter Kempowski in Christiansens eigener Sendung – warum nicht die Kultursendungen? Da konnte die Moderatorin nur nervös kichern. Dann fiel ihr doch noch eine Antwort ein: „Es gibt sogar auch noch den Kulturreport. Und der folgt gleich auf uns.“
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