■ Die FDP diskutiert, ob sie das sinkende Koalitionsschiff verläßt: Der Möllemann-Faktor
Die FDP ist eine Partei ohne Unterleib, bedeutungslos in den Kommunen, kaum noch vorhanden in den Ländern, in Bonn reduziert auf die Rolle als Kohls Wasserträgerin. Dieses Bild ist schon so selbstverständich, daß die neuerliche FDP-Schlappe in Schleswig-Holstein kaum noch registriert wurde und auch das bevorstehende Scheitern an der Fünfprozenthürde in Sachsen-Anhalt bereits jetzt fest gebucht werden kann. Das ist für die Freien Demokraten an sich nichts Neues. Doch seit Niedersachsen hat sich etwas verändert: Die Wasserträger drohen überflüssig zu werden, weil es niemanden mehr gibt, der ihre Bemühungen in Macht umsetzt. Ohne Kohl steht die FDP vor dem Nichts.
Seit dem Wochenende sind dem Publikum aus der Partei drei sich gegenseitig ausschließende Taktiken präsentiert worden, mit dieser mißlichen Lage umzugehen. Der Parteivorsitzende empfiehlt Augen zu und durch. Im Vertrauen auf die Wunder Kohlscher Wahlkampfführung, den Gott der Marktwirtschaft und die Lethargie der deutschen WählerInnen setzt Gerhard darauf, daß alles so bleibt, wie es ist. Vom forschen Westerwelle, der jung genug ist, um über den 27. September hinaus zu denken, weiß man, daß er die FDP auch als Oppositionspartei für überlebensfähig hält. Die umtriebigen Möllemänner dagegen wollen immer nur dahin, wo das Futter ist. Wenn das ab September von Schröder verteilt werden sollte, muß man sich rechtzeitig umorientieren, sich jedenfalls nicht zur Unzeit aufs falsche Pferd festlegen.
Rein rechnerisch ist nicht ausgeschlossen, daß die Möllemänner am Ende richtig spekuliert haben. Bleibt Schröder im Hoch, landet die SPD wirklich bei rund 40 Prozent, könnte Schröder in die überaus komfortable Situation kommen, zwischen Rot-Grün, Rot- Gelb, Rot-Schwarz wählen zu können. Wie gesagt, rein rechnerisch. Politisch scheint Rot-Gelb ausgeschlossen. Marktradikalismus, wie Solms und Westerwelle ihn predigen, scheint mit sozialdemokratischer Politik nicht kompatibel zu sein.
Aber was heißt das schon. So, wie der Triumph Schröders über Lafontaine der Sieg des Opportunisten über eine inhaltliche Festlegung war, könnte Möllemann gegen Westerwelle erfolgreich sein. Ein paar Thesen aus dem Freiburger Kreis von Frau Leutheusser-Schnarrenberger wieder aufpoliert, ein kleiner Eklat beim Staatsbürgerschaftsrecht, und die Republik redet von einer Neuauflage einer sozialliberalen Koalition.
Für einen Möllemann dürfte das doch zu machen sein. Der Gerd und der Jürgen, wäre das nicht ein wunderbares Gespann? Jürgen Gottschlich
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