Zuschauer-Demokratie soll abgewählt werden

■ Hamburger Initiative „Mehr Demokratie“ erreicht Sieg für leichtere Bürgerbeteiligung

Hamburg (taz) – „Wir leben in einer Zuschauer-Demokratie“, schimpft die Initiative „Mehr Demokratie in Hamburg“ seit einem Jahr unablässig. „Einmal wählen und dann vier Jahre schweigen“ – das sei die Rolle, die die beiden großen Volksparteien SPD und CDU den BürgerInnen zugedacht hätten. Zwar wurde in der Hansestadt nach jahrelanger Diskussion eine Volksgesetzgebung eingeführt. Doch die Hürden sind nach Ansicht von „Mehr Demokratie“ viel zu hoch. „Das muß sich ändern!“, forderten die wackeren Aktivisten. Ein Volksbegehren soll schon mit 10.000 statt wie bisher 20.000 Stimmen eingeleitet werden können.

Für diesen Zweck sollte das Volk also begehren. Und das Volk begehrte so überwältigend, daß die Initiatoren selbst überwältigt sind. „Wahnsinn“ und „Ich glaub's nicht“, juchzten und jubelten die Aktivisten am Montag abend, als der Landeswahlleiter das Ergebnis verkündete: 18,4 Prozent oder 221.865 aller wahlberechtigten HamburgerInnen trugen sich in die Listen ein. 10 Prozent wären nötig gewesen. Damit konnte „Mehr Demokratie“ doppelt so viele Menschen für sich gewinnen wie die Grün-Alternative Liste (GAL) vor einem halben Jahr bei der Bürgerschaftswahl.

In den vergangenen zwei Wochen, in denen man sich auf den Bezirksämtern eintragen konnte, stolperte man auf Schritt und Tritt über die HelferInnen der Initiative. Sie mobilierten über Megaphone, standen vor jeder Einkaufsstraße, fehlten auf keiner Veranstaltung, blockierten die Faxe der Lokalredaktionen mit drei bis sieben Pressemitteilungen täglich und ersparten keinem Hamburger Promi die Frage, ob er nicht mitmachen wolle. Am Ende schlossen sich über 50 Bürgerinitiativen und Organisationen an. Zu den Unterstützern zählten so unterschiedliche Leute wie Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Krista Sager (GAL), der Chef der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer, Friedrich Görtz, und die Schauspielerin Peggy Parnass.

Einzig SPD und CDU stellten ihre Ohren auf Durchzug: Die Volksgesetzgebung, wie sie die Bürgerschaft beschlossen habe, sei vollkommen ausreichend. Die Quoren abzusenken, gefährde die repräsentative Demokratie. Es drohe das politische Chaos, wenn schon 10.000 Unterschriften ein Volksbegehren einleiten und bereits 5 Prozent (jetzt 10) den Weg für einen Volksentscheid, die eigentliche Wahl, freimachen würden. Für jeden Pipifax würde dann womöglich eine Volksabstimmung eingeleitet. Jan Ehlers, SPD-Verfassungsexperte und Vertrauter des Ersten Bürgermeisters Ortwin Runde (SPD), forderte die Genossen im Parteiorgan Vorwärts auf, die Initiative „Mehr Demokratie“ nicht zu unterstützen.

Die Initiative hält den Kritikern schlicht die „Erfolgsstory“ von Bayern entgegen. Und: Kein einzige Volksabstimmung im CSU- Land hätte die Hamburger Quoren erfüllen können. Die Volksparteien hätten schlicht Angst vor Bürgerbeteiligung und schürten damit die Politikverdrossenheit. Drei Monate hat die Bürgerschaft nun Zeit, den Gesetzentwurf der Initiative zu übernehmen. Doch danach sieht es auch jetzt nicht aus. Noch gestern beharrten die seit einem halben Jahrhundert fast ununterbrochen regierenden SozialdemokratInnen darauf, daß eine Änderung überflüssig sei. Gerade der Erfolg des Volksbegehrens beweise doch, daß die Hürden nicht zu hoch seien. Und ein wenig beleidigt ist man schon auch, weil das Volk – trotz Schröder! – nicht einsieht, daß seine Interessen bereits bestens und ausreichend durch die Sozialdemokratie vertreten sind. Bleibt das Parlament untätig, wird im Herbst, wahrscheinlich parallel zur Bundestagswahl, der Volksentscheid durchgeführt. Dann brauchen die „Volksbefreier“ 600.000 Stimmen (50 Prozent), denn für die Veränderung der Zustimmungsquoren ist eine Verfassungsänderung nötig. Silke Mertins