: „Revierkämpfe wie im Tierreich“
GALierin Solange Lipprandt beendete den Streit um Eimsbüttels Bezirkschef ■ Von Heike Haarhoff
Hamburg, im Spätsommer 1997. Eine Wahlkampfveranstaltung. Zielgruppe: Griechen, Italiener, Spanier. Zum ersten Mal dürfen EU-BürgerInnen in Hamburg wählen. Wenn auch nur in den Bezirken. Solange Lipprandt erinnert sich genau an diesen Abend.
Wie sie so da stand und ihre Vorredner von SPD und CDU beobachtete. Und wie es ihr, als sie endlich dran war, herausrutschte, dieses „tja, meine Damen und Herren, ich weiß, wovon ich rede“. Wie sie plötzlich wußte, daß dieser Satz ziehen würde. Denn eineN AusländerIn als SpitzenkandidatIn für die Bezirkswahl aufzustellen, dazu eine Frau, das hatte sich nur die GAL Eimsbüttel getraut. Dennoch oder gerade deshalb kam sich Solange Lipprandt, 50 Jahre alt, ein bißchen „populistisch“vor – hatte sie doch die persönliche Betroffenheit aus dem Wahlkampf heraushalten wollen. „Natürlich trete ich für die doppelte Staatsangehörigkeit ein und fürMenschenrechte, aber doch nicht, weil ich EU-Bürgerin bin.“
Doch etwas Besseres als eine ausgleichende Persönlichkeit wie Lipprandt, die „immer Konsens herstellen muß“, hätte der GAL Eimsbüttel nicht passieren können: Nach jahrelangem Hickhack werden heute die einstigen Zankhähne GAL und SPD Jürgen Mantell (SPD) offiziell zum Bezirkschef wählen – auf Vermittlung von Lipprandt. „Hier gab's ja das Kuriosum, daß die nicht in der Lage waren, einen Bezirksamtsleiter zu wählen“, wundert sich die GAL-Chefin. „Revierkämpfe wie im Tierreich“gegeben – bis der damalige Bezirkssenator Thomas Mirow (SPD) steuernd eingriff und Mantell zunächst kommissarisch einsetzte. Den Erfolg, diesen Streitpunkt beigelegt zu haben, würde Lipprandt selbstredend nie für sich beanspruchen. „Die Wahl ist Bestandteil des Koalitionsvertrags“, sagt sie schlicht.
Selbstbewußt ist die Französin, die seit einem knappen Vierteljahrhundert in Deutschland lebt, trotz ihrer Bescheidenheit. „Ich bin keine sehr ehrgeizige Politikerin“, stellt sie kichernd fest. Den Alltag „lebenswert“zu machen, darum sei es ihr immer gegangen. Mitte der 80er Jahre beispielsweise, als das deutsch-französische Ehepaar Lipprandt mit seinen beiden Töchtern „aus dem beschaulichen Bonn mitten in die Schanze“zog: Nachdem sie ihren „ersten Gedanken: Koffer packen und weg“verworfen hatte, kam das Engagement in den Initiativen: der Kampf um den Erhalt von Grünstreifen, die Forderung nach Verkehrsberuhigung und breiteren Bürgersteigen, auf denen die Südfranzösin, „da bin ich ganz Mediterranerin“, gern „flanieren“würde. Und dann die „Illusion“einer multikulturellen Gesellschaft. „Ich gehöre zur 68er Generation und habe klassisch Philosophie, Soziologie und Psychologie studiert“.
Heute dagegen erscheint es der freiberuflichen Fachbuch-Lektorin „schon gut genug, wenn man nebeneinander lebt und sich respektiert“. Verbittert klingt das nicht. Eigentlich hätte sie sich auch „ganz gut vorstellen“können, ohne Fraktionsvorsitz weiterzumachen. Vielleicht sogar ohne Partei.
Man glaubt es ihr. Kokettieren, das wäre nicht ihr Ding. Aber dann „bin ich in diesen Parlamentarismus so reingerutscht“, lacht sie und streicht die langen, grauen Haare zurück. „Du weißt ja, auch bei uns gibt's wenig Frauen.“Ihre eigene Prominenz bestreitet die Frau, die Parteikollegen als „kompetente Drogenpolitikerin“, „Intellektuelle“und „gute Vermittlerin“schätzen. Die Fraktion sei „ein Team“.
Die politische Karriere als reiner Zufall? Und warum dann ging sie ausgerechnet in der GAL ein, wo sie doch den deutschen Ökos mit „ihrem Hang zur Askese“den Einbau einer Torftoilette in ihr Feriendomizil bis heute schmunzelnd übelnimmt? Plötzlich wird Solange Lipprandt sehr ernst. „Anfang der 90er Jahre“, sagt sie, „hat sich viel verändert.“Die Hand haut unvermittelt auf den Tisch, der Blick duldet keinen Widerspruch. „Da wurden in Deutschland die Asylgesetze geändert.“Ihre Empörung darüber ist so frisch wie damals. „Da bin ich in die GAL eingetreten.“
Heute müsse zwar auch ihre Partei „aufpassen, nicht die eigene Identität zu verlieren“, warnt Lipprandt, die sich selbst für „realpolitisch, nicht aber eine Reala“hält. Die Bezirks-Koalition mit der SPD sei dennoch nötig, um wenigstens ein wenig Einfluß nehmen zu können – auf die Vergabe von Geld, auf den Schutz von Wohnraum, auf die Rettung von Parks – alles Dinge, die den Alltag lebenswert machen.
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