■ Kommentar: Reform ohne Alternative
Wer an der quälenden Arbeit der Großen Koalition verzweifelt, dem mag ein Scheitern bei der heutigen Abstimmung über die Bezirksreform das erlösende Signal für ein neue Politik sein. Dennoch: Die Zahl der Bezirke zu reduzieren, die Zuständigkeiten zwischen Senatsverwaltungen und Bezirken neu zu regeln, das Parlament zu verkleinern und die Verwaltung zu reformieren ist richtig und dringend notwendig. Eine zweite Chance, ein solches Projekt zu stemmen, wird es nicht geben.
Dabei ist die Kritik an dem Reformpaket mehr als berechtigt. Nach siebenjähriger Debatte ist in jeder Hinsicht ein problematischer Kompromiß herausgekommen. Manches ist unzulänglich, anderes soll erst Ende Mai ausgefüllt werden, einiges bleibt widersprüchlich. In problematischer Weise werden auch künftige Landesregierungen gebunden. Wie sollte es aber auch anders sein bei einem Vorhaben, an dem viele gegensätzliche Interessen zerren? Es gehört zu Jahrhundertprojekten, daß es fünfzehn Jahre braucht, bis das Neue sich unter dem anfänglichen Knirschen des Verwaltungsgetriebes zur Normalität eingeschliffen hat. Manche Befürchtungen werden darüber gegenstandslos werden. Eines ist sicher: Wie bisher wird für die Menschen ihr Kiez wichtiger bleiben als der neue Name eines größeren Bezirks.
Für die Große Koalition geht es heute abend um ihre Existenzberechtigung. Daran führen auch vorsorgliche Beschwichtigungen nicht vorbei. Die Haushaltssanierung mehr schlecht als recht geschultert, die Fusion mit Brandenburg in den märkischen Sand gesetzt und bei der Bezirksreform gescheitert – damit wären die zentralen Gründe für das Bündnis der ungleichen Partner hinfällig. Anders als bei der geplatzten Länderfusion kann der Schwarze Peter auch nicht den Brandenburgern zugeschoben werden – dieses Versagen wäre hausgemacht. Kommt die Zweidrittelmehrheit heute abend nicht zustande, dann wird ab morgen über Neuwahlen gesprochen. Das wäre für die Stadt befreiend, in der Sache aber fatal. Gerd Nowakowski
Berichte Seite 23
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