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Energie-Kakophonie

■ Unsere Mannschaft für Stockholm: Hamburg schickt seine „20 besten KünstlerInnen unter 30“zur baltischen Biennale ArtGenda nach Schweden

u einer Zeit, als „Nordlichter“noch nicht Synomym für blauäugige Blondschöpfe in leuchtenden Öljacken war, waren damit Gelehrte und Künstler gemeint, die Anfang des 19. Jahrhunderts von den bayrischen Königen Maximilian I. Und Ludwig II. zur Hebung des kulturellen Niveaus aus dem Norden nach München geholt wurden. Damals fand der Bayer das gar nicht lustig, aber heute mag er über die Nordlichter lächeln. Eine uncharmante, aber gern zitierte Theorie behauptet, daß der protestantische Norden ob seiner Exzessfeindlichkeit zur großen Kunst gar nicht fähig sei.

Nun hätte sich die Republik nach Ende des Zweiten Weltkriegs weiter die Köpfe darüber einschlagen können, wäre nicht die Welt plötzlich in Ost-West statt Nord-Süd eingeteilt worden. Auf die Kunst bezogen hieß das: in sozialistischen Realismus dort und Avantgarde, banaler: Kunstmarkt hier.

Mit dem Fall der Mauer haben sich noch einmal die Kategorien verschoben. Auch Hamburg, das doch über die Städtepartnerschaften mit Dresden und Leningrad/St. Petersburg seine Bindung zum Osten unterstrich, sieht sich den Rang von Berlin abgelaufen und muß sich auf der neuen Landkarte neu positionieren. Das nun propagierte Europa der Regionen stellt die Hansestadt in ein neues politisch/geographisch/kulturelles Bezugssystem: den baltischen Raum. So wird es von der Politik propagiert. Die Kunst ist da vorsichtiger und versucht erst einmal eine Bestandsaufnahme.

Ein ambitioniertes Projekt der künstlerischen Erforschung von baltischer Identität bzw. ihres Vorhandenseins ist die Biennale ArtGenda. 1996 in Kopenhagen ins Leben gerufen, soll die ArtGenda mit jungen Künstlern aus 16 Städten in zehn Ländern rund um die Ostsee ein Gegenstück zur seit 1985 existierenden „Biennale des Jeunes Créateurs d'Europe et de la Méditerranèe“sein. Ihr Anspruch ist kein geringerer, als „die jeweils besten KünstlerInnen, die die Städte zu bieten haben, zu versammeln“.

Um diese zu finden, werden in den einzelnen Städten Kuratorengruppen von der Kulturbehörde oder ihrem jeweiligen Äquivalent bestimmt, die 40 KünstlerInnen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren vorschlagen, von denen widerum ein internationales Komittee 20 auswählt. Die 12 köpfige Hamburger Kuratorengruppe bestand 1998 vor allem aus sogenannten Multiplikatoren, unter anderem Markus Schaefer (Kurzfilmagentur), Peter James (Rock City), Res Bosshart (Kampnagel), Erma Stärz (Arbeitskreis Photographie), Cato Jans (Galerist) sowie Architekten, Künstlern und ProfessorInnen der Hochschulen. Die Auswahl der Juroren spiegelt den Anspruch der ArtGenda, alle traditionellen Sparten zu berücksichtigen, und mehr: „crossover“, „interaction and integration“lauten auch hier die Zauberworte des Augenblicks. Antje Mittelberg, Referentin für Kulturaustausch und Hamburger „City Coordinator“der ArtGenda, spricht von einem „spartenübergreifenden Modellprojekt, das paradigmatisch für wirklich kooperative Kommunikation steht“.

Was vor zwei Jahren in Kopenhagen stattfand, beschreibt sie hingegen als ein „bisweilen konturloses Sammelsurium“. Fast 600 junge Künstler waren in die damalige Kulturhauptstadt Europas geladen, und ihre Werke in der ganzen Stadt verteilt ausgestellt. Unübersichtlichkeit und Kommunikationsschwierigkeiten waren die Folgen. Um gleiches zu verhindern, zeigt die ArtGenda vom 1. bis zum 24. Mai dieses Jahres in Stockholm „nur“320 KünstlerInnen und die alle unter einem Dach – dem Flachdach des „Kulturhusets“, einem 18.000 Quadratmeter großen 70er-Jahre-Koloß mitten in der Innenstadt. Dort wird auf Initiative Hamburgs auch ein Künstlersalon eingerichtet, in dem ein grob nach Sparten gegliedertes offenes Programm die Künstler zu Austausch , und Aktion anregen will.

Der Clash kann spannend werden. Denn sieht der Betrachter an der Außenwand des Kulturhusets auch DIN A3-normierte Portraits der 320 KünstlerInnen aus Aarhus, Gdansk, Göteburg, Hamburg, Helsinki, Kiel, Kopenhagen, Malmö, Oslo, Riga, Rostock, St. Petersburg, Stockholm, Tallinn, Turku und Vilnius, werden im Inneren des Gebäudes vermutlich eklatante Unterschiede offensichtlich. „Viele Arbeiten aus dem Osten sind für uns, gelinde gesagt, folkloristisches Kunsthandwerk“, beschreibt Claus Friede, mit dem Architekten Achim Eisslinger und dem Internetkünstler Frank Fietzek Organisator des Salons, seine Eindrücke aus Kopenhagen. Denn Norden ist eben nicht gleich Norden und allein das gleiche Alter macht noch keine Generation. Trotzdem findet Friede das künstlerische Forum vergleichender Präsentation äußerst spannend: „Ich mag eben das Gras wachsen hören.“

2000 wird die ArtGenda in Helsinki stattfinden, 2002 sähe Mittelberg gern Hamburg als Gastgeber. Bis dahin ist aber noch eine Fußball-WM Zeit, und wir wollen ihnen erst mal unsere Mannschaft für Stockholm vorstellen: von Christian Jankowski, Cettina Vicenzino, Jan Holtman, Florian Muser, Linda Nilsson (Bildende Kunst/Performance), Boris Preckwitz, Tina Uebel, Dierk Hagedorn (Literatur), Christoph Fischer (Architektur), Astrid Hanenkamp, Tina Kryger Simonsen, Kai Dünhölter (Mode), Opera Silens (Musiktheater), Bauhouse (DJs) und Pia Greschner (Video) werden sie in den kommenden Wochen Portraits und Beschreibungen ihre Projekte für die Artgenda in der taz hamburg lesen.

Christiane Kühl

Internetinfos unter www.baltic-interface.net/artgenda/salon

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