Häuser vergammelt, Probleme erhalten

Zwei Jahre nach der ersten Räumung durch Jörg Schönbohm: Offiziell gilt das „Hausbesetzerproblem“ als gelöst, doch viele ehemals besetzte Häuser stehen jetzt leer. Legalisierte Bewohner wollen Selbstverwaltung  ■ Von Gereon Asmuth

Die Hausfassade leuchtet in frischem Gelb. Die Ladenräume bezieht gerade eine Filiale des Sanitärfachbetriebs von Peter Hellmich, dem auch das Haus gehört. Im ebenfalls sanierten Hinterhaus hat er ein Lager eingerichtet. Heute vor zwei Jahren hatte die Polizei die Palisadenstraße 49 in Friedrichshain gestürmt und die dort seit fünf Jahren wohnenden Besetzer auf die Straße gesetzt. Mit der Behauptung, das Haus habe kurzzeitig leergestanden, es sei daher neu besetzt worden, umgingen Polizei und Eigentümer die eigentlich für eine Räumung notwendige Klage. Bereits einen Tag später schlug die Polizei erneut zu und räumte die Kleine Hamburger Straße 5 in Mitte. Mit den beiden Räumungen hatte der zwei Monate zuvor angetretene Innensenator Schönbohm (CDU) begonnen, sein Antrittsversprechen umzusetzen: die Lösung des „Hausbesetzerproblems“. Seither wurden insgesamt 14 langjährig besetzte Häuser und mindestens vier Neubesetzungen geräumt. Nach der Räumung der Pfarrstr. 104 in Lichtenberg Ende Februar meldete Schönbohm Vollzug. Berlin sei nun besetzerfrei. Doch die weitere Nutzung der geräumten Häuser kommt nur zögerlich voran.

Laut der vom Senat selbst gesetzten „Berliner Linie“ braucht es eigentlich eine Sanierungs- oder Abrißgenehmigung als Voraussetzung für eine Räumung. Dennoch gab es eine unmittelbar anschließende Sanierung nur bei den ersten beiden Räumungen. Bei den anderen Häusern wurden die notwendigen Genehmigungen erst im nachhinein beantragt oder erteilt. Mindestens zwei Häuser wurden, nachdem die Eigentümer die lästigen und wertmindernden Bewohner losgeworden waren, zudem kurz nach der Räumung erst einmal weiterverkauft.

Die im Juli 1997 geräumte Pfarrstr. 88 wurde kurioserweise von einer Eigentümergemeinschaft erworben, die das Haus nun in Selbsthilfe sanieren will. Mit dem Anfang der achtziger Jahre angeschobenen Selbsthilfeförderprogramm des Senats sollte ursprünglich vor allem legalisierten Besetzergruppen die Sanierung ihrer Häuser ermöglicht werden – auch um sie durch umfangreiche Eigenleistungen von politischer Arbeit abzuhalten.

In der Hälfte der geräumten Häuser hat sich bis heute jedoch gar nichts getan. Bei den meisten Häusern stehe die Sanierung zwar unmittelbar bevor oder werde zumindest derzeit ein Baucheck durchgeführt, verspricht Ralf Hirsch von der Bauverwaltung. Dennoch ist klar, daß die Kinzigstraße 9 in Friedrichshain und die drei Häuser an Marchstraße und Einsteinufer in Charlottenburg auch anderthalb Jahre nach ihrer Räumung weiter vor sich hingammeln werden.

„Wir machen da erst mal gar nichts“, betont ein Sprecher der Henning von Harlessem GmbH (HvH), Eigentümerin der Charlottenburger Häuser. So wolle man die Abrißgenehmigung für alle drei Häuser erzwingen. Denn die Charlottenburger Baustadträtin Beate Profé (Grüne) hat nur für zwei durch jahrelangen Leerstand beziehungseise einen Brand nach der Räumung im Sommer 1996 ruinierten Häuser den Abriß genehmigt. Die Marchstraße 23 will sie jedoch in ein Gesamtkonzept für das Gelände einbetten. Wie das einmal aussehen wird, ist derzeit noch völlig unklar. Sicher ist derzeit nur, daß die Hochschule der Künste (HdK) ihr Brachgelände nicht nutzen wird. Der Verwaltungschef der HdK hatte die Räumung des Geländes mitbeantragt. Nachher schwärmte er vom Bau eines audiovisuellen Zentrums. Dabei sei schon da klar gewesen, daß die Unis überhaupt kein Geld für Neubauten haben, ärgert sich Profé. Der Druck für die Räumung sei völlig unnötig gewesen.

Nach der Vollzugsmeldung von Schönbohm scheint dieser Druck nun erst mal vom Tisch zu sein. So besteht Hoffnung, daß für die trotz allen Meldungen von der „besetzerfreien Hauptstadt“ immer noch mindestens zwei besetzten Häuser in Friedrichshain in Ruhe Lösungen gefunden werden können. Denn zum Abschluß vertraglicher Lösungen wird vor allem Zeit benötigt. Doch gerade diese Besonnenheit fehlte, seitdem die Innenverwaltung unter Jörg Schönbohm zum Sturm auf die Häuser geblasen hatte. Wo sich früher Sanierungsträger oder der damalige Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) engagierten, wurden zaghafte Verhandlungsversuche durch Schönbohms Räumungswelle weggespült. Das könnte nun bald wieder der Fall sein, denn die angestrebte Legalisierung der Kinzigstraße 25/27 in Friedrichshain gilt derzeit als fraglich.

Trotz des Räumungsdrucks konnten in den vergangenen zwei Jahren drei Friedrichshainer Häuser noch leglisiert werden. So kaufte die von Besetzern gegründete Selbstverwaltete Ostberliner GenossInnenschaft (SOG) die Kreutziger Straße 23. Für Hausbewohner Andreas Baier ist das immer noch das beste Ergebnis einer Hausbesetzung. Denn die meisten der 107 in Ostberlin seit 1991 legalisierten Besetzungen wurden nur über ganz normale Einzelmietverträge vollzogen. „Dadurch bekamen die Besetzer zwar eine Wohnung, aber eigentlich wollten wir ja kollektiven und selbstverwalteten Wohnraum“, meint Baier. Das alte Besetzermotto „Die Häuser denen, die drin wohnen“ hat sich die SOG daher auf die Fahnen geschrieben. Denn nur so können die Hausprojekte langfristig gesichert werden. Viele über Mietverträge längst legalisierte Besetzungen sind etwa nach einem Eigentümerwechsel durch Mieterhöhung und kostenintensive Sanierung bedroht. Inzwischen haben schon fast zehn Hausprojekte bei der SOG um Unterstützung gebeten.

Nach der Besetzungswelle 1990 gab es in der Kreutziger Straße sogar so etwas wie kollektiven Straßenraum. Acht Häuser und zwei Grundstücke waren in der etwa 200 Meter langen Sackgasse besetzt. Hier entstanden Kneipen, ein Videokino und später auch der erste Abenteuerspielplatz. Er und der Jugendclub „Nimmerland“ waren jahrelang Anlaufpunkt für Kinder und Jugendliche aus der Umgebung. Über internationale Kontakte wurden Hilfskonvois mit Medikamenten nach Rumänien, Sandsäcken nach Polen und Solarkochern nach Sansibar organisiert.

Zeitweise habe es über 45 Initiativen und Projekte aus der Hausbesetzerszene in Friedrichshain gegeben, so Baier. Die meisten agierten in einer legalen Grauzone, aber auch fast normale Firmen, wie eine Druckerei oder ein Getränkehandel, sind in diesem Umfeld entstanden. „Deswegen haben wir heute eigentlich keine Loser-Fraktion mehr hier“, meint Baier. Sicher sei ein Teil derer, die einfach nur rumhängen wollten, auch weggezogen, doch ein Großteil habe in der Ungezwungenheit der Projekte einen neuen Lebenssinn, teilweise sogar so etwas wie eine Ausbildung gefunden. Inzwischen hat sich einiges geändert: Anstelle des Abenteuerspielplatzes steht längst ein klobiger Neubau, weitere Freiflächen werden derzeit bebaut. Drei der besetzten Häuser wurden im November 1996 ganz oder teilweise geräumt. Trotzdem bleibt die Straße geprägt von den ehemaligen Besetzern. Das sei fast die „soziale Befriedung durch uns selbst“, meint der Ex-Hausbesetzer, der die in nunmehr fast acht Jahren gewachsenen Strukturen in der Straße nicht mehr missen will.