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Hören mit kühlem Ohr

■ Auch bei der Vergabe des wichtigsten deutschen Hörspielpreises wurde über Schlingensief gestritten. Den Preis kriegten dann andere

Es ist eigentlich kein Raum dafür. Mächtige Tonflächen, kollagierte Musikfetzen, überlebensgroße Stimmen passen zwar in jedes Zimmerchen, in das ein Radio paßt. Aber der gläserne Konferenzsaal des Saarländischen Rundfunks, in den nun gleißendes Licht fällt, ist vielleicht nicht der rechte Ort, um Hörspielen zu lauschen. Doch um genau das zu tun, sind die 18 Juroren zum „Hörspielpreis der Kriegsblinden“, der begehrtesten deutschen Hörspielauszeichnung, hier eingezogen. Ein gläsernes Ohr bekommt jeder Juror geschenkt, ein Talisman, heißt es. Tatsächlich entpuppt sich das kühle Stück beim Hörmarathon durch 18 Stücke als nützliches Stimmungsbarometer. Gleitet manchmal hilfesuchend durch die Finger, wird dann hart von Hand zu Hand geworfen, als es darum geht, wer die Trophäe am Ende bekommt.

Daß hitzige Emotionen bei dem Ringen überhaupt aufkommen, muß man wohl positiv deuten – gilt doch die oft überhörte Kunstform nicht eben als Sache, bei der es besonders lebendig zugeht. Die Meinungen gehen ganz mächtig auseinander, wie das herausragendste Hörspiel zu klingen hat. Soll es Klang-Museum sein, brummiges Lesestündchen, suggestiver Soundtrack oder Klangangriff mit allen Mitteln der Kunstform?

Qualitätsfunk attackiert – mit dessen Mitteln

Christoph Schlingensiefs „Rocky Dutschke '68“ vom WDR ist ein Stück nach dieser Art, über das in der Jury sehr emotional gestritten wurde. Da lanciert einer ausgerechnet in Sprechhaltung, Ton und Format des Qualitätsfunks den satirischen Frontalangriff gegen denselben (und gleichzeitig einen gegen die Stagnationsgesellschaft). Steckt satt-korrekte 68er-RedakteurInnen mit einigen ihrer Helden (Wolf Biermann, Heiner Müller, Rudi Dutschke etc.) in ein Studio des WDR und läßt sie dort noch mal richtig spielen. Da treiben sie dann Selbstdarstellung, halten Nabelschau, schwelgen im „Gedenk“-Fieber.

Wenn der Autor – auch akustisch nicht zimperlich – die heiligen Kühe der Vorgängergeneration schlachtet, meint er stets deren Haltung, nicht die Sache selbst. Das mochte die Mehrheit der Juroren nicht glauben – zumal Schlingensief die Schmerzgrenze überschreitet, wenn er in diesem durchgeknallten Stimmen-Zirkus jüdische Namen verlesen läßt. Bei der Jury verlor das fesselnde Stück gegen den guten Ton des Kulturbetriebs und bekam nur den zweiten Preis.

Statt der Attacke siegte: der gute Ton

Der gute Ton: Dramatisch toben, perlen und stürzen die Klänge des Preisstücks übereinander. Dazwischen unheimliche Stille „Die graue staubige Straße“ von Ilona Jeismann und Peter Avar (SFB) reißt ihre Hörer in ein suggestives Gesamterlebnis, das seinen poetischen Text um Schostakowitschs Zehnte Symphonie herum komponiert. Die allgegenwärtige hypnothisch-pathetische Spannung erschließt sich aus dem Inhalt: versuchte doch der Komponist den Widerspruch seines Lebens aufzulösen – die künstlerische Idealisierung der Oktoberrevolution und seine anschließende Verfolgung im Stalin-Terror.

Rückblick auf versunkene Kulturformen gab es überhaupt viele. Mal, wie in „Irrgangs Beichte“ von Karl Mickel (MDR), mit schmunzelndem Augenzwinkern über die verschwundene DDR. Mal wehmütig nach dem verlorenen Paradies der innigen Naturverbundenheit schielend („Orpheus oder Izangi“ von Yoko Tawada, SDR). In „Die Wirklichkeiten unterhalten sich“ (Ronald Steckel, SWF) wird im nostalgisch wirkenden Zusammenschnitt mehrerer O-Ton- Vignetten das wahre Flüstern der Welt beschworen. Ein wenig zu selbstsicher verläßt sich auch Klangkünstler Heiner Goebbels in „Die Wiederholung“ (SWF) auf sein altbewährtes Konzept, Texte (Kierkegaard, Robbe-Grillet) mit Musik und Pop (Prince) zu mischen und im Ohr der Hörerin den magischen Funken zu entfachen.

Wieder andere Produktionen versuchten, sich der harten Wirklichkeit mit offenem Engagement zu stellen. Eine heikle Sache im literarischen Hörspiel. Allzuschnell klingt diese rührend („Kanak Sprak“, Ferindun Zaimoglu, Deutschlandradio) oder ärgerlich wie in Ludwig Fels' Annäherungsversuch an ein ihm völlig fremdes Frauenschicksal in Abu Dhabi, das in seiner exotischen Sprache zum kulturellen Mißton wird („Der tausendundzweite Tag“, HR). Dann schon lieber ans Eingemachte gehen wie Elfriede Jelineks wütende Männermörderin („Todesraten“, BR). Für die perfekte Kälte von Text und Komposition (Olga Neuwirth) hätten die Damen das gläserne Ohr verdient.

Im Rückblick auf das Hörspieljahr fehlte eines völlig: die tonale Verspieltheit der Kunst. Ist die vom Sparschreck verschreckt? Gaby Hartel

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