: "Wir brauchen viele Runde Tische"
■ Wolfgang Clement, Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen und designierter Ministerpräsident, spricht über die Ziele, die ihm wichtig sind: Stärkung des Schienenverkehrs beim Gütertransport, mehr Solar
taz: Herr Clement, für die Wahl zum Ministerpräsidenten reichen Ihnen drei der 24 bündnisgrünen Stimmen im Düsseldorfer Landtag. Gilt für Sie der Spruch „Mehrheit ist Mehrheit“, oder haben Sie eine Grenze gesetzt, unterhalb derer Sie sagen würden, die Koalition hat sich erledigt?
Wolfgang Clement: Ich werbe für eine möglichst breite Zustimmung bei meinen eigenen Parteifreunden und in den Reihen unseres Koalitionspartners. Dabei gehe ich davon aus, daß man in einer funktionsfähigen Koalition mehr als die Hälfte der Stimmen des Partners erhalten muß.
Und was passiert, wenn Sie weniger Stimmen bekommen?
Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß die Grenze des Erträglichen unterschritten werden könnte.
Zwischen Ihnen und den Grünen herrschte vor allem wegen Garzweiler II seit einiger Zeit eine eisige Atmosphäre. Hat sich das gelegt?
Der sachliche Unterschied, der uns seit Beginn der Koalition in dieser Frage begleitet und im Koalitionsvertrag festgehalten worden ist, besteht fort. Dieser Dissens mußte zum Konflikt führen. Das ist ein schwieriges Problem, aber die Koalition muß daran nicht scheitern. Ich werde dazu meinen Beitrag leisten.
Gibt es Projekte, Ideen, um der Koalition bis zur nächsten Landtagswahl im Jahr 2000 zu neuem Schwung zu verhelfen?
Wir haben ganz wichtige Projekte, die bisher kaum beachtet worden sind und die wir jetzt nach vorn bringen müssen. Das betrifft beispielsweise unsere Anstrengungen, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Dazu bereiten wir auf breiter Front die Nutzung von Werksschienenanlagen vor. Das ist ein Projekt, das den durch eine rot-grüne Regierung möglichen politischen Richtungswechsel anzeigt.
Darüber hinaus setzen wir auch in der Energiepolitik neue Zeichen. Wir tun als Land zur Förderung der Solartechnologie mehr als alle anderen Länder. Zudem unterstützen wir in Gelsenkirchen den Aufbau von Deutschlands größter Solarzellenproduktion. Das sind beispielhafte Initiativen, die zu einer Veränderung der Märkte beitragen werden.
Sie haben als „Kernziel“ die Reduzierung der Arbeitslosigkeit genannt. Haben Sie neue Ideen, auf die bisher noch niemand gekommen ist?
Es gibt keine völlig neuen Ideen, sondern es geht darum, daß Notwendige zu tun. Dabei werden die Rahmenbedingungen durch die Bundespolitik und auf europäischer Ebene gesetzt. Das Kernproblem ist die mangelnde Konsensfähigkeit der Bundesregierung. Daß Kohl das Bündnis für Arbeit hat scheitern lassen, war sein schwerster politischer Fehler.
Wir haben in Nordrhein-Westfalen mit der Gründungs- und der Ausbildungsoffensive oder mit der Förderung der Kommunikationsbranche Zeichen im Sinne einer kooperativen Wirtschaftspolitik gesetzt für mehr Beschäftigung; aber es ist noch ein langer Weg, bevor die Verhältnisse am Arbeitsmarkt wieder in Ordnung sind. Ohne eine andere Politik in Bonn geht das nicht.
BDI-Chef Olaf Henkel hat kürzlich gesagt, in Deutschland bräuchte es „weniger Runde Tische“ und mehr „eckige Entscheidungen“.
Das ist wohlklingend, aber falsch. Man muß nur in die Niederlande schauen, wo sich die Tarifparteien schon 1982 mit der Politik zusammengesetzt und die notwendigen Entscheidungen getroffen haben: über die Steuerreform, über die sozialen Sicherungssysteme oder die Forcierung von Teilzeitarbeit. Das alles ist in unserem Nachbarland geschehen, während bei uns am Runden Kanzlertisch nur parliert wurde. Das ist der Unterschied.
Die SPD will jetzt die Dinge zurücknehmen, die in Bonn entschieden wurden. Etwa die Einschränkungen bei der Rente oder der Lohnfortzahlung, die laut Olaf Henkel allein für den Mittelstand zehn bis 15 Milliarden Mark Entlastung bei den Lohnnebenkosten gebracht haben. Halten Sie diese Ankündigungen von Schröder für richtig?
Das sind immer die gleichen Grabenkämpfe, die da inszeniert werden. Wir kommen nur zu Fortschritten, wenn auf beiden Seiten Vertrauen entsteht, wenn nicht der Eindruck geschürt wird, daß die eine Seite die andere in den Staub werfen will. Deshalb war die gesetzliche Einschränkung der Lohnfortzahlung falsch. Daß wir den Krankenstand in Deutschland senken mußten, stand auch für uns außer Frage. Doch das Instrument war falsch, weil es eine Kampfansage gegenüber den Arbeitnehmern war.
Die SPD ist sich einig, daß unter ihrer Regierung nichts geschehen darf, was zur Erhöhung der Lohnnebenkosten führt. Im Gegenteil, wir wollen und werden die Lohnnebenkosten senken.
Paßt zu Ihrem „Kernziel“ eine Ökosteuer, wie die Grünen meinen?
Eine Ökosteuer paßt in die Landschaft. Den Faktor Umwelt zugunsten des Faktors Arbeit zu entlasten, ist zweifellos vernünftig. Das Problem ist nur, daß wir keine nationalen Alleingänge mehr riskieren können, sondern auf der europäischen Ebene einen Gleichklang der Entwicklung brauchen.
Läuft das nicht auf Vertagung und Blockade der Ökosteuer hinaus?
Wieso? Wir Deutsche haben auch auf diesem Feld keinen Grund, uns über unsere Nachbarn zu erheben. Auch in Sachen Umwelt sind andere europäische Staaten schneller als wir – etwa die Dänen oder die Niederländer. Daran kann man anknüpfen.
Sind Bezinpreiserhöhungen als Einstieg auf nationaler Ebene für Sie denkbar und sinnvoll?
Ja, wenn wir über Erhöhungen von sechs bis zehn Pfennig reden. Aber das ist keine ökologische Steuerreform, die tiefe Furchen hinterläßt. Dazu ist eine europaweite Harmonisierung unabdingbar.
Die SPD will den Spitzensteuersatz von 53 auf 49 Prozent senken. Sie haben angedeutet, daß Ihnen ein wesentlich größerer Schritt nach unten lieber wäre. Welcher Satz gilt nun bei der SPD?
Das ist kein Lotteriespiel. Wir haben uns im Parteivorstand völlig klar ausgedrückt und einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent genannt. Dieser Satz wird selbstverständlich dann unterschritten werden, wenn entsprechende Finanzspielräume vorhanden sind. Das ist der Punkt. Ob und wieweit das nach unten geht, wird sich nach einem Kassensturz zeigen. Alle sonstigen Zahlenspekulationen sind Geisterdiskussionen ohne realen Hintergrund. Interview: Walter Jakobs
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