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Ausverkauf mit Gewinnbeteiligung

Sie wecken Begehrlichkeiten: menschliche Gene. Einen Coup landete jetzt der Schweizer Pharmamulti Hoffmann-La Roche. Für einen dreistelligen Millionenbetrag hat er den Genpool der isländischen Bevölkerung gekauft – um ihn für die Entwicklung neuer Medikamente auszuwerten. Der erste genetische Sell-out in der Geschichte der Humangenetik.  ■ Wolfgang Löhr

Ein Volk verkauft seine Gene. Für rund 360 Millionen Mark darf der Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche das Erbmaterial der gesamten Bevölkerung von Island für die Entwicklung neuer Medikamente oder Diagnostika nutzen. Das Geld bekommt das isländische Unternehmen deCode Genetics Inc. mit Sitz in Reykjavik. Das kleine Forschungsunternehmen besitzt eine umfangreiche medizinische Datensammlung, in der so gut wie jeder Isländer erfaßt ist.

Der Kooperationsvertrag, der schon Anfang Februar unterzeichnet wurde, ist bisher einmalig in der Geschichte der Humangenetik. Er ist nicht nur, wie die Fachzeitschrift Nature Biotechnology berichtet, das größte Forschungsabkommen, das in diesem Bereich zwischen zwei Unternehmen vereinbart wurde. Niemals zuvor hat auch ein Unternehmen die Zugriffsrechte auf das menschliche Genom eines gesamten Landes eingeräumt bekommen.

Hoffmann-La Roche gehört zu den Marktführern im Gesundheitssektor. Tätig ist der Konzern vor allem im Bereich Pharmazeutika und Diagnostika. Im vergangenen Jahr erst hatte Roche mit der Übernahme des Pharmaunternehmens Boehringer Mannheim seine Marktposition im Bereich der Diagnosemittel ausgebaut. Mit dem Engagement in Island sollen laut Roche-Sprecher Roland Haefeli die beiden Geschäftsbereiche Diagnostik und Therapie enger zusammengeführt werden.

Roche hat auch schon mit zwei weiteren Gentech-Unternehmen, die über große Datenbanken mit Gensequenzen verfügen, Kooperationsverträge abgeschlossen: mit dem britischen Unternehmen Millennium und der im kalifornischen Palo Alto ansässigen Incyte, die mit 1,5 Millionen Genfragmenten eine der größten Sammlungen genetischer Daten besitzt.

Hoffmann-La Roche hofft, daß mit der „Erfassung und Erforschung von Genen“, die für Krankheiten verantwortlich sind, die Entwicklung von neuen Testverfahren und „maßgeschneiderten“ Therapien möglich werde. Bei der mit deCode auf fünf Jahre vereinbarten Kooperation geht es um insgesamt zwölf häufig vorkommende Krankheiten. Etwa Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Schizophrenie, Depressionen, Alzheimer und Diabetes.

Abgesehen hat es der Schweizer Pharmakonzern vor allem auf die „einmaligen genetischen Eigenschaften der isländischen Bevölkerung“. Daß deCode Zugang zu diesen Informationen habe, sei „eine große Chance“, meinte anläßlich der Vertragsunterzeichnung Jonathan Knowles, Leiter der Roche- Pharmaforschung. Der besondere Wert der isländischen Bevölkerung für die Genforschung sei die „genetische Homogenität“, erklärte Roche. Das Erbgut der isländischen Bevölkerung habe sich „aufgrund der geographisch isolierten Lage über tausend Jahre kaum verändert“.

Island wurde erst vor etwa 1.200 Jahren von Norwegen aus besiedelt. Die meisten der heute auf Island lebenden 270.000 Einwohner stammen von dieser relativ kleinen Gruppe ab. Kaum zu überschätzen sind auch die fast tausend Jahre zurückreichenden Aufzeichnungen über Geburt, Tod und verwandtschaftliche Beziehungen der Inselbewohner. Für die Genforscher

steigt damit die Wahrscheinlichkeit, daß sie mehrere Personen ausfindig machen können, die nicht nur an der gleichen Krankheit leiden oder für eine bestimmte Krankheit anfällig sind, sondern bei denen auch die gleiche Erbgutveränderung vorliegt.

Zwei weitere Besonderheiten machen die „genetischen Ressourcen“ der Isländer besonders interessant für die Genforscher. So gibt es auf Island eine umfangreiche Sammlung von Gewebeproben. Seit 40 Jahren werden Proben, die bei einer medizinischen Behandlung oder der Untersuchung von Leichen gewonnen werden, in einer Gewebebank aufbewahrt. Hinzu kommt noch eine umfangreiche medizinische Datensammlung, in der die seit 1915 verfaßten Arztberichte und Untersuchungsprotokolle erfaßt sind.

Das Unternehmen deCode hat Zugriff auf all diese – in der Welt wohl einmaligen – Datensammlungen. Damit können in einer Familie auftretende Erbkrankheiten nicht nur mehrere Generationen zurückverfolgt werden. An den eingelagerten Gewebeproben lassen sich auch nachträglich noch genetische Untersuchungen durchführen.

Daß das Genom der isländischen Bevölkerung sich besonders gut für die Fahndung nach krankheitsauslösenden Genen eignet, hatte als erster der Neurologe Kari Stefansson erkannt. Der in Island geborene Stefansson kündigte seine Stelle an der Harvard-Universität und gründete 1996 mit deCode das erste isländische Gentech-Unternehmen. Seinen ersten Erfolg verbuchte Stefansson bei der Suche nach der genetischen Ursache für vererbbares Muskelzittern. Drei Monate nur brauchte sein Team, um das Gen für familiären Tremor ausfindig zu machen. Rund sieben Prozent der älteren Bevölkerung leiden unter dieser Krankheit, für die es bisher keine Heilung gibt. In einem anderen Projekt wird bei deCode nach den genetischen Ursachen von Multipler Sklerose gesucht. Für Stefansson war jedoch von Anfang an klar, daß deCode die Kooperation mit größeren Pharmaunternehmen suchen muß, um mehr Kapital in die Firma zu holen.

Das Abkommen mit dem Schweizer Pharmakonzern soll für deCode erst der Einstieg ins große Geschäft sein. Das isländische Unternehmen hofft jetzt auf Nachahmer. Zwar wurden Einzelheiten der Vereinbarung mit Roche nicht offengelegt. Nach Angaben des Präsidenten von deCode, Stefansson, hat Hoffmann-La Roche jedoch kein exklusives Verwertungsrecht für die genetischen Daten erhalten.

Vertraglich zugesichert ist, daß nur Roche das Recht hat, Tests und Therapeutika für die zwölf aufgeführten Krankheiten zu entwickeln und zu vermarkten. Ausgenommen von der Vereinbarung sind gentherapeutische Verfahren und die sogenannte Anti-Sense- Methode, bei der durch eine künstliche DNA-Sequenz einzelne „kranke“ Gene ausgeschaltet werden können.

Von der isländischen Regierung wurde deCodes Engagement begrüßt. Der Ministerpräsident, David Oddsson, sagte, er sei erfreut, daß eine ausländische Firma in ein „spitzentechnologisches Projekt“ seines Landes investiere. „Die Regierung von Island wird alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um die beiden Vertragsparteien in ihrem Bestreben zu unterstützen.“ Oddsson hofft vor allem auf neue Arbeitsplätze.

Ethische Probleme sieht Stefansson nicht. Namen von Patienten, die für das Projekt mit Roche untersucht werden sollen, bekommt er von den Kliniken mitgeteilt. Sie werden zuvor nach ihrem Einverständnis gefragt. Erst dann werden die Familienstammbäume zusammengestellt und darauf hin untersucht, ob Vorfahren unter der gleichen Krankheit litten oder es noch Familienangehörige gibt.

Die beiden Kooperationspartner bekommen damit ihre Untersuchungsobjekte gewissermaßen frei Haus. In den Anfangsjahren der Genforschung mußten die Verwandtschaftsbeziehungen von Patienten zum Teil noch sehr umständlich erarbeitet werden.

Eine beliebte Bevölkerungsgruppe waren daher die Mormonen in den Vereinigten Staaten, vor allem im Bundesstaat Utah. Eine ebenfalls nach außen relativ abgeschlossene Gruppe. Zudem besaßen sie wie die Isländer weit in die Vergangenheit zurückreichende Familienaufzeichnungen. Ein Forscher bezeichnete die Mormonen gar als „lebendes Labor“. Mit ihrer Hilfe konnten mehrere Krankheitsgene gefunden werden. Wie ein Gen, daß mit einer höheren Anfälligkeit für Krebs in Verbindung gebracht wird.

In Island soll die Erfolgsstory wiederholt werden. Geht das Kalkül auf und Roche kann neue Medikamente entwickeln, soll auch die isländische Bevölkerung etwas davon haben. Der Schweizer Pharmakonzern hat versprochen, daß den Einwohnern von Island die Medikamente dann kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

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