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Teufel und Hebamme

Wie Medienentzauberer Harald Wieser mit Mediendiabolo Harald Juhnke zusammenfand. Wie der Biograph Therapeut wurde – und lebensgroße Juhnkes finden in Buchläden  ■ Von Manfred Otzelberger

Es ist der 13. März 1996. Berlin, Hotel Maritim Pro Arte im Osten der Stadt: Zwei Süchtige beschnuppern sich zum ersten Male. Das Laster des alten Junkie ist der Alkohol, das Laster des jungen der Pfeifentabak McBaren Mixture. „Ohne diesem belebenden Freund“, sagt Harald Wieser heute, gäbe es das Juhnke-Buch „Meine sieben Leben“ nicht.

Der Kellner zuckt nur kurz mit der Wimper, als er den Wein auf den Tisch stellt. „Für welchen der Herren? Für Sie? Bitte schön.“ Wieser nickt. Die letzten Skrupel nimmt ihm sein Gegenüber: „Bestellen Sie ruhig das, worauf Sie Lust haben. Nur trinken Sie mir bitte keine zwei Flaschen vor. Das wäre sadistisch.“

Harald und Harald – das erste von vielen Werkstatt-Gesprächen in den nächsten beiden Jahren zwischen zwei Öffentlichkeitsarbeitern, deren Vergangenheit kaum unterschiedlicher sein konnte: Der Medienlinke und der Boulevardclown. Der Intellektuelle und der Entertainer. Der Kontrollierte und der Exzessive. Der böse Buben- Bube Rudolf Augsteins, der sogar einen unter Artenschutz stebenden Schirmherrn wie Frühschöppner Werner Höfer mit Nazi-Enthüllungen von der Mattscheibe vertrieb, und der süchtige Schauspieler, der von Militärklamotten wie „Piefke der Schrecken der Kompanie“ bis zum „Hauptmann von Köpenick“ alles mimte, was Geld, Affären und Ruhm brachte.

Wiesers turbulenteste Zeit scheint hinter ihm zu liegen. Beim Stern hatte er Steffi Graf und Boris Becker in Interviews geöffnet, beim Spiegel in den Achtziger Jahren liberale Denkmäler von Walter Jens bis Werner Schneyder gestürzt und dafür von den Anwälten des freien Worts Protest geerntet. Hans Magnus Enzensberger, dessen Kursbuch Wieser sechs Jahre lang herausgegeben hatte, verglich den ungezogenen Zauberlehrling mit einem „Denunzianten“.

Der andere Harald war zu dieser Zeit häufiger im Smoking anzutreffen: Als Moderator von „Musik ist Trumpf“ und „Willkommen im Club“ harmonisierte er mit Traumquoten von über 50 Prozent die deutschen Wohnzimmer.

Daß ausgerechnet Wieser den Zuschlag für die Juhnke-Biographie erhielt, verdankt er Rowohlt- Chef Nikolaus Hansen, seinem Nachbarn und Freund, der schon mal mit einer Flasche Wein zu ihm über die Straße kam. Der mit 500.000 Mark pro Nase dotierte Auftrag: Juhnkes letztgültige Autobiographie zu schreiben und dem Rowohlt-Verlag einen Bestseller zu bescheren. 100.000 Exemplare beträgt die Startauflage. Am Sonntag im Hamburger Thalia- Theater wird das Buch vorgestellt.

Trotz der Connection Hansen- Wieser überraschte der Deal Insider. Immerhin kommt das Buch im Holtzbrinck-Konzern heraus, und zu dem gehören neben Rowohlt auch Droemer-Knaur, wo man Wieser wenig gewogen ist: Der häßliche Streit um Wiesers Autobiographie von Hanns Joachim Friedrichs ist unvergessen.

Viele Gesichter wachsen aus seiner Krawatte

Der Streit um das Buchhhonorar – Friedrichs wollte ihm die vereinbarten 50 Prozent nicht mehr zugestehen – ging vor Gericht. Der Vergleich wurde an dem Tag geschlossen, an dem Wieser die Todesnachricht erhielt: „Es war gespenstisch“, sagt er nun, „und irreparabel“.

Mit Juhnke gab es solche Probleme nicht. Nie zuvor hatte sich Wieser in einen Menschen so versenkt: „Viele Gesichter wachsen aus seiner Krawatte. In seiner Villa ist er ein Mann ohne Eigenschaften. Im nächsten Moment kann er sich wie Dr. Jekyll verändern: ein Hallodri, eine Stimmungskanone, ein Berserker. Er hat teuflische Verwandlungsfähigkeiten und schaut dann mit seinen wie elektrisch aufgeladenen Augenbrauen auch wirklich diabolisch aus.“

Ein intimes Vertrauen entwickelte sich zwischen Harald W. und Harald J., die sich häufig in Juhnkes „Ghaddafi-Zelt“, einem Gartendach am Swimmingpool, zum Palaver trafen. Juhnke lobt „die hinterhältige Ironie dieses journalistischen Perlentauchers, der meine Genesung wesentlich gefördert hat.“ Wieser vermißt die Szenen dieser zarten Männerfreundschaft schon jetzt. „Ich kam mir manchmal bei diesem beneidenswert frechen Kind vor wie sein Vater, dann wieder wie sein Sohn“, sagt Wieser, 20 Jahre jünger als Juhnke. „Dabei war ich nur die Hebamme dieses göttlichen Teufels, Herr und Knecht dieses janusköpfigen Wesens, Regisseur und Assistent in einer Person.“ – „Ich muß jetzt mal mit dem Verrückten sprechen“, sagte Juhnke häufig zu seinem Psychiater. Der Verrückte war Wieser – für Juhnke die höchste Form des Kompliments. Wieser jammerte nicht über Juhnkes Abstürze, die das Buch ständig verzögerten. Eine Woche nach dem ersten Gespräch landete Juhnke in Berlin zweieinhalb Monate auf der Intensivstation.

Geduldiges Ohr in zwei Alkoholnächten

1997 fiel er in einen Glastisch, ohrfeigte eine RTL-Reporterin, trank in Amerika Alkohol aus Aschenbechern, war völlig am Boden. An Schreiben war zeitweise nicht zu denken. In zwei Alkoholnächten Juhnkes war Wieser Juhnkes geduldiges Ohr, schleuste ihn an den Paparazzi und Menschenjagd-Magazinen vorbei.

Nach den angeblichen rassistischen Ausfällen von Juhnke in Los Angeles zweifelte Wieser erstmals an dem Buch. Doch er traut Juhnkes Widerspruch: „Ich glaube ihm jedes Wort. Wir haben oft im derben Casinsostil miteinander gesprochen, dabei wäre sein häßliches Gedankengut hochgekommen.“ Juhnke, sagt er rückblickend, „war das Königswild der Trophäensammler“. Gemeint ist die Journaille von Bild bis RTL- „Explosiv“, die sich teilweise als Fleurop-Boten Zutritt in seine Villa verschafften um den betrunkenen Juhnke vorzuführen. Einst hatte Juhnke die Reporter noch selbst angerufen und mit erdichteten Geschichten genasführt.

Juhnke verbarg immer weniger. Die ganze Zeit siezte Wieser Juhnke, der ihn immer wieder freundschaftlich duzte. Er errang sein Vertrauen durch ein einfaches Arbeitsprinzip: „der Schlüssel zur Sensation ist die Diskretion.“

So auf der geschlossenen Station der Baseler Psychiatrie. Juhnke litt noch an schweren Gedächtnislücken. Er kannte die Namen naher Freunde nicht mehr, aber konnte immer noch 100 Seiten „Hauptmann von Köpenick“ zitieren. Das Buch, meint Juhnkes Arzt Franz Müller-Spahn habe ihm geholfen: „Er war gezwungen, sich mit sich auseinanderzusetzen, er hatte ein Highlight, auf das er sich freuen konnte. Wiesers Besuche taten ihm gut.“

Nur einmal verzweifelte der Arzt. Als der scheinbar geheilte Mime, der zuvor Begegnungen mit Peter Frankenfeld halluziniert hatte, plötzlich „Hemingway“ sprechen wollte. Doch Juhnke klärte den Arzt auf: „Ich meine den Hemingway aus Hamburg.“

Die Kampagne, die nun in den Buchhandlungen anläuft, ist eine hemmungslose Materialschlacht, unter anderem mit lebensgroßen Juhnke-Aufstellern. Juhnke wird durch alle Medien turnen und irgendwann wieder in ein Loch fallen. Die Ufa will die Autobiographie gar verfilmen. Den alten Juhnke darf Juhnke selber spielen. Und Wieser soll, wenn es nach Juhnke geht, für ihn künftig Liedtexte und Drehbücher schreiben. Später dann wünscht er sich den Autobiographen als Sargträger.

Vorerst könnte er die schnelle Mark machen. 3.000 Mark bot ihm eine Illustrierte für ein 30 Zeilen Interview. Die Redakteurin offenherzig: „Fragen und Antworten dürfen's selbst schreiben, Herr Dr. Wieser. Aber machens bei Juhnke a bisserl emotional. Wissen's, wir san's Frauen.“

Das ist so herzig wie Wiesers Antwort auf die Frage, was das Unangenehmste an der Zusamrnenarbeit mit Juhnke war: „Na, daß sie zu Ende ist.“

Der Autor arbeitete an Harald Wiesers Recherchen mit.

Harald Juhnke/Harald Wieser: Meine sieben Leben Rowohlt- Verlag, 38 Mark

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