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■ VorschlagTsingtau – koloniales China im Deutschen Historischen Museum

Ein „deutsches Hongkong“ hätte es werden sollen: Tsingtau in der nordchinesischen Kiautschou-Bucht. Kaiser Wilhelm II. nahm die Ermordung zweier deutscher Missionare durch Mitglieder einer chinesischen Geheimsekte als Vorwand, um Tsingtau 1897 besetzen zu lassen.

Die Ausstellung im DHM beschäftigt sich mit einem Kapitel der deutschen Kolonialzeit, das heute fast vergessen ist. Dabei war Tsingtau vielleicht die deutscheste aller Kolonien. Sie besaß im Gegensatz zu den „Schutzgebieten“ in Afrika eine funktionierende Verwaltung, die das verschlafene Fischerdorf systematisch zur Industriestadt ausbaute: eine „Musterkolonie“ entstand. Die Hygieneverhältnisse in Tsingtau galten als die besten in ganz Asien, Schulen wurden errichtet, ein vorbildliches Steuersystem eingeführt. Es war eine Modernisierungsdiktatur, die auf apartheidähnlichen Verhältnissen basierte und auf die Niederschlagung der Chinesen angewiesen blieb.

Der deutsche Stadtkern Tsingtaus und das Bier, das heute von dort in alle Welt exportiert wird, haben das Ende der deutschen Kolonialherrschaft 1914 überdauert. Geblieben ist über lange Jahre auch eine positive Beurteilung der Kolonie in der deutschen Geschichtsschreibung, die zwar die Opfer bedauerte, aber die Modernisierungserfolge in den Vordergrund rückte. Eine Sichtweise, mit der die Ausstellung im DHM zumindest vorsichtig bricht: Koloniale Modernisierung und Opfer sind untrennbar miteinander verknüpft.

Um etwas über die Auseinandersetzung mit der bisherigen Rezeption zu erfahren, muß man allerdings auf den Katalog zurückgreifen. Die Ausstellung selbst begnügt sich damit, neben einem Film über das heutige Tsingtau, historische Dokumente, Waffen, Kleidung und Gebrauchsgegenstände zu präsentieren: Relikte eines fernen Zeitalters. Der deutsche Blick auf ein exotisches Gebiet wird nicht abgelegt, gilt jetzt aber nicht mehr den Chinesen, sondern der Kolonialzeit selbst.

Dabei ließen sich genügend aktuelle Bezüge herstellen, wäre man nicht der Auseinandersetzung mit der innenpolitischen Situation im Kaiserreich, die die Kolonialpolitik erst möglich machte, aus dem Weg gegangen. Die Modernisierungseuphorie hatte alle Lager erfaßt. Auch Teile der SPD revidierten unter dem Eindruck der „Musterkolonie“ Tsingtau ihre ablehnende Haltung zur Kolonialpolitik. Selbst August Bebel lehnte die Besetzung nicht grundsätzlich, sondern wegen des gewaltsamen Vorgehens ab: Kolonialpolitik könne „unter Umständen eine Kulturtat sein, es kommt nur darauf an, wie sie getrieben wird“. Martin Reeh

Bis zum 23.6., Do.–Di. 10–18 Uhr, Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2. Katalog: 34 Mark

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