piwik no script img

Das Wuhletal soll verbinden

Die neuen Bezirke (Folge 7): Die PDS-Hochburgen Marzahn und Hellersdorf werden zusammengelegt  ■ Von Jens Rübsam

Die südlichste Verbindung zwischen Hellersdorf und Marzahn ist eine kleine Brücke an der Nitzwalder Straße. Hellersdorf heißt hier Kaulsdorf-Süd, wahlweise auch „letzter Zipfel, um den sich eh niemand kümmert“. Marzahn heißt hier Biesdorf-Süd, manchmal auch „Niemandsland“, weil eingeschlossen zwischen Bahnlinie, Fluß (Wuhle) und Wald (Wuhlheide). Die Leute diesseits der Brücke nennen sich Kaulsdorfer, wie Anna Eim, 85; die jenseits der Brücke Biesdorfer wie Hanni Hallmann, 76. Daran, sagen sie, wird sich auch durch die Bezirksreform nichts ändern.

Marzahn und Hellersdorf, die Bezirke im Nordosten der Stadt, sollen eins werden – so jedenfalls ist es beschlossen, so jedenfalls wollten es die Bezirksbürgermeister, beide PDS, nicht. Der Hellersdorfer Uwe Klett spricht von einem „ungedeckten Scheck“: Für 2.741 öffentlich Bedienstete der Bezirksverwaltung gehe es um die Existenz.

Der Marzahner Harald Buttler hegt den Verdacht, „daß es nicht zur konsequenten Stärkung der Bezirke kommen wird“. Der ehemalige Ost-Berliner Stadtbaudirektor und Marzahner Günter Peters hält die Reform für „schlichtweg verfrüht“: Hellersdorf sei erst zwölf, Marzahn werde nächstes Jahr gerade mal 20 Jahre alt, „beide sind noch nicht zu Ende gewachsen“. Stadtplaner Bernd Hunger befürchtet für beide Bezirke „mehr Nachteile als Vorteile“. Anna Eim, die Kaulsdorferin, läßt die Bezirksreform kalt: „Wir sind zu DDR-Zeiten nicht gefragt worden und werden auch heute nicht gefragt.“

Anna Eim und Hanni Hallmann, die Biesdorferin, sitzen beisammen im MoDiMiDo-Club in Biesdorf-Süd, einer durchaus besseren Seite Marzahns: schmucke Einfamilienhäuser und prächtige Gärten an Straßen mit lauschigen Namen wie Blütenauer Straße, Buchenhainer Straße, Balzerweg. Keine „Platte“ weit und breit, auch nicht auf der anderen Seite der Wuhle, in Kaulsdorf-Süd. Kleinsiedlungsgebiet nennt sich die Gegend, zu DDR-Zeiten privilegierte Wohnlage, jetzt ein weitläufiges Altersheim. Das Gros der 5.000 Biesdorfer kriegt Rente.

Das ist Silvia Kockat schon vor sieben Jahren aufgefallen. Sie gründete den MoDiMiDo-Club, „Kieztreff, Stadtteilzentrum oder soziales Angebotszentrum, wie auch immer“, genutzt von Senioren aus Biesdorf (Marzahn), Kaulsdorf (Hellersdorf) und Köpenick, dem Bezirk gleich nebenan: Hier wird die Bezirksreform längst gelebt.

Für heute haben Anna Eim und Hanni Hallmann die „altersgerechte Gymnastik-Stunde“ hinter sich, es gab auch schon Kaffee und Kuchen, jetzt werden „volkstümliche Wanderlieder“ angestimmt, und zwischendurch wird diskutiert. Anna Eim weiß eine lustige Geschichte: „Ich habe schon in drei Bezirken gewohnt, ohne einmal umgezogen zu sein.“

Als Anna Eim 1947 nach Kaulsdorf-Süd in die Deutschhofer Allee 52 zog, gehörte Kaulsdorf zum Bezirk Lichtenberg. 1979 kam Kaulsdorf zum neugegründeten Bezirk Marzahn und 1986 zum neugegründeten Bezirk Hellersdorf. Gefragt wurden die Kaulsdorfer nie. So ist eben die große Politik.

Hanni Hallmann will an dieser Stelle mal vom 190er Bus berichten. „Vor drei Jahren hat man uns den Hahn zum Marzahner Rathaus abgedreht.“ Wer Biesdorfer ist und aufs Amt am Helene-Weigel-Platz muß, muß seitdem umsteigen und benötigt mit öffentlichen Verkehrsmitteln mehr als 40 Minuten. Gebraucht werden stets zwei Fahrscheine, macht jetzt 7,80 Mark; ein Fahrschein allein, der zwei Stunden gilt, reicht nicht mehr aus. „7,80 Mark ist für Senioren viel Geld“, sagt Hanni Hallmann, die sich auch sorgt um die Einkaufsmöglichkeiten in Biesdorf-Süd.

Der Supermarkt an der Köpenicker Straße, der einzige hier, soll demnächst geschlossen werden. Bäcker, Fleischer, Schuster, Drogerie und Kurzwarengeschäft gibt es schon lange nicht mehr, „wir müssen immer wegfahren“. Das sind die Nöte der Leute im Kleinsiedlungsgebiet, das nach der Bezirksreform im Jahre 2001 das größte Kleinsiedlungsgebiet Europas sein wird.

Wenn Bernd Hunger Superlative wie größtes Kleinsiedlungsgebiet Europas oder größtes Großsiedlungsgebiet Europas benutzt, beschleicht ihn ein ungutes Gefühl. Der Stadtplaner ist seit 1995 Moderator der Lenkungsrunde in Hellersdorf, ein Gremium, das sich mit Strategien zur weiteren Ausgestaltung der Neubausiedlung beschäftigt. „Marzahn und Hellersdorf“, sagt Hunger, „sind schon heterogen genug.“ Hier die Großsiedlungsgebiete mit den Plattenbauten: 60.000 Neubauwohnungen in Marzahn, 44.000 in Hellersdorf. Da die Kleinsiedlungsgebiete: 6.600 Wohnungen in den Marzahner, 12.000 Wohnungen in den Hellersdorfer Ortsteilen, Tendenz steigend. Allein 1997 wurden in Kaulsdorf und Mahlsdorf über 600 Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser erteilt. Einen Kita-Neubau wird es demnächst im Hellersdorfer Kleinsiedlungsgebiet wegen leerer Kassen nicht geben, dagegen werden noch in diesem Jahr zwölf Kitas im Neubaugebiet wegen sinkender Nachfrage geschlossen.

Das Image freilich bekamen Marzahn und Hellersdorf nicht durch Kleinsiedlungsgebiete, nicht durch die zahlreichen Grün- und Erholungsflächen; das Image gaben die Plattenbauten. In schöner Regelmäßigkeit werden Marzahn und Hellersdorf als Ghettos oder Betonkäfige tituliert. Dabei sagen bei Umfragen stets mehr als 80 Prozent der Einwohner: „Ich lebe gern in meinem Bezirk.“

Bernd Hunger hat für die Heterogenität der beiden jüngsten Berliner Bezirke noch ein gutes Beispiel: die unterschiedlichen Entwicklungskonzepte, auf die gesetzt wurde. Plattenbauten, elf-, zwölf- und höhergeschossig in Marzahn, meist fünf- oder sechsgeschossig in Hellersdorf. Neun kleinere Stadtzentren in Marzahn, ein großes Stadtzentrum, die Helle-Mitte, in Hellersdorf. Dazwischen, als verbindendes Element, das Wuhletal, ein noch nicht erschlossener Grünstreifen. Bezirksbürgermeister Uwe Klett kann sich vorstellen, daß der neue Großbezirk (mehr als 280.000 Einwohner) nach dem Wuhletal benannt wird.

Klett klagt über die 150 Stellen, die durch die Bezirksfusion bis zum Jahr 2000 in den beiden Bezirksämtern ersatzlos wegfallen werden. Jedoch müßten die Leute – die Hälfte seien sowieso unkündbare Beamte – weiter bezahlt werden, macht 14 Millionen Mark pro Jahr. Umgesetzt werden könnten sie nicht, „denn es gibt keine freien Stellen“. Zudem befänden sich bereits 185 Dienstkräfte im sogenannten bezirklichen Überhang. Diese Mitarbeiter, deren Stellen gestrichen seien, würden den Steuerzahler bereits heute monatlich 1,1 Millionen Mark kosten.

Der Marzahner PDS-Bürgermeister Harald Buttler stimmt seinem Duzfreund Klett zu. Er halte es für unwahrscheinlich, daß durch die Bezirksreform 140 Millionen Mark eingespart werden, wie vom Rechnungshof vorausgesagt. Sein Lieblingsbeispiel: „Auch bei einem gemeinsamen Standesamt wird die Zahl der Standesbeamten nicht geringer.“

Die Damen im Biesdorfer Seniorenclub haben ganz einfache Fragen: Wo wird das neue Rathaus sein? Anfang April wird das neue Hellersdorfer Rathaus in Helle- Mitte eingeweiht. Ob hier der zukünftige Bezirksbürgermeister sitzt aber will der Marzahner Harald Buttler noch offen lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen