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Mißmutiges vom Feldherrnhügel herab

■ Der „FAZ“-Journalist Konrad Adam greift in einer selbstverliebten Polemik die politische Klasse in Deutschland an und fürchtet: Mit der Europäischen Union wird alles noch schlimmer

Glaubt man Konrad Adam, einem der wichtigsten politischen Köpfe der Frankfurter Allgemeinen, dann steht es schlimm um die deutsche Demokratie. Die Politik ist in die Hände „eines stehenden Heeres von Vertretern und Repräsentanten gefallen.“ Hauptübel ist eine bürokratisierte Parteiendemokratie, die nichts anderes im Sinn hat, als überflüssige Gesetze zu verabschieden, Geld in die eigenen Tasche zu scheffeln und durch ein aufgeblasenes Sozialwesen das wehrlose Volk endgültig unter seine Knute zu bringen. Denn weniger die Ungerechtigkeiten, die der Markt produziert, sind das Problem als vielmehr der bürokratische Transferapparat, mit dem der Staat dem gegensteuert.

Nun läßt sich mit Recht fragen, ob das Sozialsystem nicht flexibler und einfacher werden muß. Doch Adam geht es nicht um Details, nicht um Reformen und Verbesserungen, sondern darum, noch einmal zum konservativen Generalangriff gegen die Sozialbürokratie, das „Herzstück der verfetteten Verwaltung“, zu blasen. „Die Verwaltung kümmert sich um die schmerzfreie Geburt und das Ausführen der Haustiere bei Nacht“, heißt es höhnisch. Deutschland werde von „Besitzstandsmentalität“ und „Exzessen der Wohlfahrtsverwaltung“ beherrscht. So gehe die Demokratie zuschanden, denn zu alledem fordern auch „immer neue Randgruppen“ ihre Rechte ein – bemerkenswerterweise fallen dem Autor als Beispiel die Frauen ein.

„Die Republik dankt ab“ ist eine Polemik, in der manches Bedenkenswerte unter einem Berg von Übertreibungen begraben wird. Konrad Adam ist kein neoliberaler Hauruck-Rhetoriker, wie etwa Arnulf Baring. Ihm geht es nicht um die Aufrüstung des Wirtschaftsstandorts Deutschland, sondern um die Verteidigung des klassisch Politischen, das im Würgegriff von rechts und links ersticke. Auf der Rechten glauben die Neoliberalen einzig und allein an die segensreiche Wirkung der Konkurrenz und wollen Staat und Politik dem Diktat des Marktes unterordnen. Und auf der anderen Seite hat die etatistische Linke, so Adam, einen Versorgungsstaat errichtet, der immer nur weiterwuchern kann. Die Demokratie der Bürger bleibe dabei auf der Strecke.

Gewiß neigt das bundesdeutsche Konsenssystem zu Erstarrung und Unbeweglichkeit. Die offen ausgetragene politische Auseinandersetzung wird oft durch mehr oder weniger verrechtlichte Formen ersetzt. Daß die tonangebenden Parteien in Deutschland zudem dorthin wollen, wo der Wähler schon ist, in die Mitte nämlich, macht die hiesige Politik auch nicht lebhafter. So weit, so richtig.

Doch Adam zielt auf das Prinzipielle. Er betrachtet die Dinge von einer Art geistigem Feldherrenhügel aus: Maßstab ist die athenische Demokratie. Dort waren Staat und Politik noch nicht Sache der Parteien und Institutionen, die Bürger selbst hatten das Sagen. Damals herrschte noch eine „echte Leidenschaft fürs Politische“. Nun aber sind wir aus diesem Paradies vertrieben und müssen uns mit den alltäglichen Widrigkeiten einer verwalteten Welt herumschlagen.

Als Indiz, wie stumpfsinnig sich die heutige Politik darstellt, wertet Adam, daß sich der Bundestag einen ganzen Vormittag lang mit der Frage beschäftigte, wieviel die Krankenkassen bei Zahnärzten zuzahlen sollen. Anstatt große politische Debatten anzukurbeln, widme man sich in Bonn kleinkrämerischen Verwaltungsproblemen. Daraus folgert dreierlei: Erstens ist der Autor offenbar privat krankenversichert. Zweitens spricht daraus eine näselnde Geringschätzung des Sozialen. Und drittens: Politik, die mit Interessen zu tun hat, gilt in diesem Hohenlied auf die Bürgerdemokratie als irgendwie unfein.

So gerät bei dieser schwungvollen Abrechung ein fundamentaler Unterschied nie in den Blick: daß eine industrielle Massendemokratie etwas vollkommen anderes sein muß als jene überschaubare, kleinteilige Gemeinschaft von räsonierenden Bürgern in der Polis, die Adam als verbindliches demokratisches Ideal empfiehlt. Die modernen Bürokratien und Parteien treten hier stets nur als Störung in Erscheinung, als ein lästiges Hindernis für jene blaublütige Demokratie der Individuen. Die entscheidende Frage freilich, wieviel und welche Institutionen die Massendemokratie braucht, taucht gar nicht erst auf. Sie eignet sich auch schlecht für jene Schwarzweißkontraste, mit denen Adam seine Rhetorik auf Touren bringt.

Am treffsichersten ist dieses Buch in seiner Europa-Kritik. All jene Entartungen, die der Autor in der deutschen Republik entdeckt, wachsen in der Europäischen Union ins Monströse: die Herrschaft der Wirtschaft über die Politik, die Herrschaft der Bürokratie über die Politik und die Herrschaft der Parteien über die Politik. Die Europäische Union, so die Bilanz, ist ein „politischer Körper ohne politische Idee“, dirigiert von unkontrollierbaren Administrationen, die den Bürger als Störenfried betrachten. Die Hoffnung, daß sich die Demokratisierung der quasi feudal organisierten Europäischen Union schon einstellen werde, wenn die Wirtschaften via Euro erst aneinandergekettet sind, ist naiv. Denn diese Idee trägt ihr Scheitern schon in sich: Das Politische ist darin nur ein Nebeneffekt des Ökonomischen. So droht diese Europäische Union „frei vom Geist der bürgerlichen Freiheit zu werden“.

Die Geburtsfehler, die Adam der EU mit scharfem Blick attestiert, lassen sich nur beheben, wenn man es mit der Demokratie ernst meint. Die Verachtung der Massendemokratie und ihrer Institutionen, die hier durchschimmert, ist auf diesem Weg freilich kein brauchbares Gepäck. Stefan Reinecke

Konrad Adam: „Die Republik dankt ab – Die Deutschen vor der europäischen Versuchung“. Alexander Fest Verlag, Berlin 1998, 240 Seiten, 39,80 DM

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