Analyse
: Wer ist Steuermann?

■ Der Streit um die 49 Prozent zeigt: Lafontaine ist schwächer, als er scheint

Noch scheint es so, als sei Parteichef Oskar Lafontaine der beherrschende Mann in der SPD. Schlagzeilen vom Montag lauteten: „Lafontaine weist Schröder in die Schranken“ (Süddeutsche Zeitung) und „Lafontaine pfeift Schröder zurück“ (Bild). Aber was ist schon passiert? Lafontaine hat lediglich seine Partei aufgefordert, Spekulationen über mögliche Koalitionspartner sofort zu beenden. Dann hat er zwar auch Schröder attackiert, der die Grünen als nicht regierungsfähig abgekanzelt hatte, aber eben nur indirekt.

Entscheidend ist dagegen, was seit dem Wochenende im Raum steht: Der Kanzlerkandidat der SPD, Gerhard Schröder, distanziert sich von den Grünen und plädiert für eine Senkung des Spitzensteuersatzes unter die im SPD-Wahlprogramm festgesetzten 49 Prozent. Viel deutlicher kann der Dissens zum Parteichef Lafontaine nicht zu Tage treten.

Der Kanzlerkandidat drängt damit den Parteivorsitzenden in den Hintergrund. Schröders Aussage vor seiner Kandidatenkür, „das Amt des Kanzlerkandidaten löst viele Probleme“, bewahrheitet sich nun. Seit der Kandidatenentscheidung wird jeden Tag deutlicher: Endlich kann Schröder Schröder sein. Seine Äußerungen zum Spitzensteuersatz berühren nicht weniger als eine Grundfeste Lafontainescher Politik. In mühsamer Überzeugungsarbeit hatte Lafontaine seine Partei darauf eingeschworen, daß der Spitzensteuersatz nicht unter 49 Prozent (heute 53 Prozent) sinken darf. Dahinter steckt nicht nur das Argument, eine weitere Senkung sei nicht finanzierbar, sondern die Grundüberzeugung, daß nicht die Vermögenden, sondern die Einkommensschwachen steuerlich entlastet werden sollen. Genossen wie Scharping, Voscherau, Clement und Schröder fügten sich zunächst widerstrebend, erweckten später aber den Eindruck, auch inhaltlich mit Lafontaine einverstanden zu sein.

Assistiert vom designierten NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement zeigt Schröder nun also sein wahres Gesicht. Die Wirtschaft wird's freuen, aber die eigenen Reihen sind düpiert. Zum einen hat Schröder bestätigt, daß ihm Programme der Partei nicht so wichtig sind. Zum zweiten hat er eine Abkehr von Lafontaines Kurs signalisiert, die SPD von der CDU deutlich zu unterscheiden. Nach Schröders Ankündigung, die eine Annäherung an die Vorstellungen der Koalition bedeutet, fragt sich erst recht, ob nicht doch eine Einigung bei der Steuerreform möglich gewesen wäre.

Wäre Lafontaine wirklich noch der erste Mann für den Kurs der SPD, hätte er gegen die Diskussion über den Spitzensteuersatz gewettert. Statt dessen scheint er fast schon resigniert zu haben. Seine Äußerung, ohne den Programmpunkt ökologische Steuerreform stehe er nicht zur Verfügung, klingt wie ein Rückzugsgefecht. Vor der Niedersachsenwahl hätte er so etwas nicht nötig gehabt. Markus Franz