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910 Milliarden für den blauen Dunst

■ Der US-Kongreß will die Tabakindustrie bis zum Jahr 2022 mit 910 Milliarden Mark zur Kasse bitten. Das Geld soll für Krankenkosten und Anti-Raucher-Kampagnen ausgegeben werden. Die Tabakkonzerne wehren sich heftig

Washington (taz) – Die US-Tabakindustrie soll in den kommenden 25 Jahren umgerechnet 910 Milliarden Mark als Ausgleich für die durch das Rauchen entstehenden Kosten zahlen. Über eine entsprechende Gesetzesvorlage des Kongresses soll noch in dieser Woche abgestimmt werden. Mit dem Geld könnten die Krankenkassen für die Behandlung von Raucherkrankheiten entschädigt, Antiraucherkampagnen bezahlt und medizinische Forschung finanziert werden. Die Tabakindustrie wird im Gegenzug zwar nicht vor künftigen Schadenersatzforderungen gefeit sein, ihrer Gesamtsumme wird aber ein jährliches Limit von 11,7 Milliarden Mark gesetzt. Dafür muß sie sich unter anderem verpflichten, durch eine Begrenzung der Zigarettenwerbung den Nikotingenuß bei Jugendlichen zu verringern. Heute rauchen in den USA rund 4,5 Millionen junge Leute, in zehn Jahren müssen es laut Gesetzesvorlage sechzig Prozent weniger sein. Jeder verfehlte Prozentpunkt kostet die Zigarettendreher weitere Millionen.

Hunderte von Seiten umfaßt das im Finanzausschuß des US-Senats am Montag erzielte Kompromißpapier, dem die größten Tabakproduzenten gestern vorhielten, er würde sie ruinieren. Das angestrebte Gesetz „brächte die finanzielle Lebensfähigkeit der Tabakindustrie in Gefahr“, führe zu großen Problemen in den von ihr abhängigen Industriezweigen und würde „astronomische Preiserhöhungen für die Verbraucher“ nötig machen. Die Gesetzesvorlage geht weit über die Einigung, die zwischen Politik und Tabakindustrie im Juni letzten Jahres erzielt worden war, hinaus. Damals hatten sich die fünf größten Tabakfirmen gegenüber 38 US-Einzelstaaten zur Zahlung von umgerechnet 658 Milliarden Mark als Entschädigung für die Folgekosten des Rauchens bereit erklärt.

Begonnen hatte die Auseinandersetzung mit der Initiative eines Anwalts aus Pascagoula/Mississippi, dem es bereits mehrfach gelungen war, hohe Schadenersatzforderungen gegen die Industrie durchzusetzen. Nicht die bisher stets abgewiesenen Raucher sollten klagen, sondern die Bundesstaaten sollten den Ersatz der Kosten, die den Krankenkassen durch die Behandlung von Raucherkrankheiten entstanden waren, einklagen. Da plötzlich zeigte sich die Industrie gesprächsbereit.

Der Druck auf die Philip Morris & Co wuchs dennoch weiter. In Prozessen in Mississippi, Texas und Minnesota wurden geheime Dokumente veröffentlicht, die belegen, daß die Konzerne um die suchtbildende Wirkung ihrer Erzeugnisse wußten, ja sie gezielt zum Erschließen neuer Käuferschichten einsetzten und an genetisch manipulierten Tabakpflanzen mit besonders hohem Nikotingehalt arbeiteten. Für die Lobbyarbeit gegen ein Tabakgesetz gaben die Konzerne seither mehr Geld aus, als sie die Vereinbarung jährlich gekostet hätte. Peter Tautfest

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