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Fantastisches Elend

■ Johann Kresnik inszeniert Subúrbio/Niemandsland von Fernando Bonassi

ohann Kresnik ist einer, der gerne mal mit der flachen Hand auf den Tisch haut. Besonders, wenn er über Journalisten spricht. Weil diese Ignoranten es nach Jahrzehnten künstlerischer Aktion für die gute Sache noch immer nicht kapiert haben, daß er nicht mit dicklichen Tänzern arbeitet, sondern – aufgepaßt! – choreographisches Theater macht. Das mußte er den versammelten Ignoranten auf der Pressekonferenz im Schauspielhaus noch einmal erklären, damit sie sich bei der Premierenkritik von Subúrbio/Niemandsland nicht wieder an des Hauptdarstellers Rettungsringen abarbeiten. Werner Rehm – Achtung! – hat Jahrzehnte an der Berliner Schaubühne hinter sich. Neben ihm stehen sechs weitere Schauspieler, drei Tänzer von der Volksbühne und eine junge Laiin auf der Bühne. Damit sollten die basics klar sein.

Verwundern dürfte Kresnik die diagnostizierte Blindheit der Medien kaum, glaubt er doch sowieso, „daß wir in der 1. Welt den Blick für die Realität total verloren haben“. Längst hätten wir hier Verhältnisse wie in der 3. Welt. Das Stück Subúrbio/Niemandsland des brasilianischen Autors Fernando Bonassi, das elendes Leben in einer Welt ohne Chancen beschreibt, zeigt für ihn keine Vision, sondern „ist Situation. Jeder spricht über die Scheißwahl vom Bundeskanzler. Kein Mensch über die 2000 obdachlosen Kinder in Berlin.“

Fernando Bonassi, Filmemacher, Drehbuchautor, Dramatiker und Romancier, spricht auch nicht von den Obdachlosen. „Ich bin kein engagierter Schriftsteller“, betont der 35jährige. Realismus ist ihm fern. In seinem 1994 erschienenen Roman Subúrbio wollte er kein Abbild der Misere geben, sondern fantastische Bilder zeichnen, „Bilder aus den Köpfen der Menschen, die in so einer Situation leben“. Im Mittelpunkt des Werkes steht ein verbitterter alter Mann, dessen Leben eine brutale graue Spirale zum Tod ist. Bis er ein zwölfjähriges Mädchen trifft, auf das er die Hoffnung einer späten Erfüllung projiziert – eine Hoffnung, die scheitert. Erst erfinden sie sich eine schönere Welt, dann geraten Traum und Wirklichkeit durcheinander, und schließlich wird der Traum zum Alptraum. Der Alte tötet das Mädchen und mißbraucht ihre Leiche.

Der Roman, so Bonassi, beschreibt Diskurs in Grenzsituationen. Die Kraft seiner sprachlichen Bilder ging bei der Umarbeitung in dramatische Szenen verloren, doch sei Kresnik, dessen körperbetontes Theater er in Brasilien kennengelernt hat, genau der Richtige, um diese Kraft in choreographischen Bildern wieder heraufzubeschwören. Penelope Wehrlis Bühne unterstreicht die Metaphernübersetzung: 200 Ratten werden versuchen, die hilflos agierenden Menschen auszuspielen.

Christiane Kühl

Premiere: Samstag, 4. April, 20 Uhr, Schauspielhaus

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