: Aus dem spannenden Leben der heimischen Fauna Von Susanne Fischer
Auf das Land sind wir gezogen, weil wir so tierlieb sind. Nacheinander beherbergten wir einen Kater mit einem Loch hinter dem Ohr, einen Kater mit einem Triefauge und (auf dem Dachboden) einen Marder, der unsere Äpfel auffraß und in alle Ecken pinkelte. Den Marder haben wir behalten, weil sonst niemand unsere Äpfel auffrißt und in alle Ecken pinkelt. Und weil er nicht weggehen will.
Wir erlebten unseren ersten ländlichen Sommer. Ich knipste das Schlafzimmerlicht aus und öffnete das Fenster. „Wenn das Licht aus ist, kommen keine Insekten herein“, erklärte ich meinem Liebsten. Nach einer Stunde schloß er das Fenster, weil das Froschkonzert aus dem nahen Karpfenteich im Zusammenklang mit dem Katergeschrei und dem Mardergerumpel über unseren Köpfen unsere Schlafkompetenz überforderte. Am nächsten Morgen waren wir völlig zerstochen.
Wir schafften uns ein Mückennetz vor dem Fenster an. „Jetzt ist alles in Ordnung“, versprach ich dem Liebsten. Am nächsten Morgen waren wir total zerstochen. Wir legten ein Handtuch vor den schmalen Spalt unter unserer Schlafzimmertür. „Alles wird gut“, sagte ich zu meinem Liebsten. Am nächsten Morgen waren wir ein bißchen zerstochen. Als wir schließlich das Schlüsselloch verklebt hatten, konnten unsere Stiche in Ruhe ausheilen. „Es ist alles bestens“, versicherte ich siegesgewiß, und das stimmte auch. Seit wir im Sommer unsere Terrasse nicht mehr benutzen, wurden wir nur noch selten von Bremsen und Wespen gestochen, eigentlich nur auf dem kurzen Weg zwischen Wohnungstür und Auto. Unsere Fahrräder hatten wir bereits verkauft.
Im nächsten Frühjahr durchmaß eine Ameisenprozession unsere Küche. Attacken mit Backpulver, Essigtüchern, Haarspray und Parfüm überstand das solidarische Völkchen nahezu unbeschadet; Ameisen können Opfer bringen. Sie fanden unsere Küche gemütlich, obwohl es nach der Backpulveraktion aussah wie bei Dealers unterm Sofa. Wir stellten mit schlechtem Gewissen eine Ameisenköderdose auf. Die Ameisenstraße nahm eine elegante Kurve um die Köderdose. Wir bauten die nächste Dose dahinter, und die Straße nahm eine S-Kurve. Ameisen gelten ja als die Baumeister unter den Insekten. Wir kauften eine Sprayflasche mit Insektengift. Landbewohner gelten ja als die naturfernsten und gewissenlosesten unter den menschlichen Wesen. So nahm ein schöner Sommer hinter hermetisch verriegelten Türen und Fenstern seinen leisen Lauf.
In der nächsten Saison bescherte uns Kater einen Flohzirkus auf dem Wohnzimmerteppich. Wir schenkten dem Tier, das sich benahm, als wollten wir es umbringen, ein Flohhalsband. Nach drei Tagen hatte sich der Kater an die Liga zur Rettung der Katzheit vor unwürdigen Accessoires gewandt und stand barkehlig vor uns. Da bekam er Flohtropfen, die auch nicht halfen. Das heißt, ihm vielleicht, aber die Flöhe hielten sich nun an uns. Wir erinnerten uns an unsere Vorratsdose mit Insektenspray. „Alles wird gut“, hustete ich in den Wohnzimmernebel, während der Liebste seine Flohbisse kratzte. Seit einigen Tagen führt übrigens eine Ameisenstraße durch unser Duschbecken. Was die Tiere dort wollen, weiß ich nicht, aber nachts höre ich sie kichern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen