: Lehrergewerkschaft droht mit Streik
■ Statt der vereinbarten Arbeitszeitkonten verordnet Schulsenatorin Stahmer den PädagogInnen jetzt Mehrarbeit ohne Rückerstattung
LehrerInnen sollen in Berlin künftig mehr arbeiten. Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) kündigte gestern an, in Fächern und an Schulen mit Lehrermangel die Zahl der Pflichtstunden zu erhöhen. Damit reagierte Stahmer auf das Scheitern ihrer Verhandlungen mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) über die „Organisation des neuen Schuljahres“.
Eigentlich hatten Senatorin und Gewerkschaft bereits im Februar vereinbart, den Lehrermangel durch Arbeitszeitkonten auszugleichen. Die LehrerInnen sollten in den kommenden drei Jahren Mehrarbeit leisten und dafür später bei sinkenden Schülerzahlen weniger unterrichten. Zugleich garantierte Stahmer, das Arbeitszeitguthaben nicht durch eine künftige Erhöhung des Lehrdeputats zu schmälern.
Dieser Passus erregte jedoch das Mißfallen von Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD). Aufgrund dieses innerparteilichen Drucks sah sich Stahmer zu Nachverhandlungen mit der Gewerkschaft gezwungen. Dabei spielten wohl auch neue, von der GEW selbst vorgelegte Bedarfsprognosen eine Rolle, nach denen die Schülerzahlen wegen des Babybooms im Osten nicht wie erwartet zurückgehen werden. In den Verhandlungen wollte Stahmer auch den vereinbarten Einstellungskorridor von 400 auf 200 Stellen pro Jahr schmälern.
Diese Konditionen lehnte eine Landesdelegiertenversammlung der GEW jedoch mit großer Mehrheit ab. Gegen die angekündigte Arbeitszeitverlängerung wolle die GEW mit „allen Mitteln bis hin zum Streik“ kämpfen, sagte der Landesvorsitzende Erhard Laube. Außerdem riet er den LehrerInnen entgegen der bisherigen GEW-Linie davon ab, ihre Arbeitszeit freiwillig zu reduzieren. „Wer jetzt in Teilzeit geht, schafft keinen Job, sondern nur Unterrichtsausfall und Mehrbelastung für die Kollegen“, sagte er.
Stahmer warf der Gewerkschaft „Besitzstandsdenken“ vor. Sie habe sich „aus dem Versuch verabschiedet, das nächste Schuljahr mit einer verträglichen Belastung für alle Beteiligten gemeinsam zu organisieren“. Damit hätten „Funktionäre gegen die Interessen der Kinder und Familien entschieden“. Die bildungspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Sybille Volkholz, machte es der Senatorin zum Vorwurf, der ursprünglichen Vereinbarung jemals zugestimmt zu haben. Sie habe „in unverantwortlicher Weise Hoffnungen geweckt“, denn eine langfristige Arbeitszeitgarantie hätte „die Befugnisse eines zukünftigen Parlaments in unzumutbarer Weise beeinträchtigt und die Einführung neuer Arbeitsmodelle erschwert“.
Der SPD-Abgeordnete Peter Schuster plädierte dafür, ein solches Modell bereits zum Schuljahr 1999/2000 einzuführen. Demnach sollen LehrerInnen künftig genauso lange arbeiten wie alle anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Wegen der langen Ferien müßten sie also während der Unterrichtswochen mehr schuften. Dabei will die SPD-Fraktion die unterschiedlich lange Vor- und Nachbereitungszeit in den einzelnen Fächern ebenso berücksichtigen wie Beratung, Betreuung oder Fortbildung. „Es geht dabei nicht um eine verkappte Erhöhung der Arbeitszeit“, betonte Schuster. Ralph Bollmann
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