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Klassenziel verfehlt

■ Wild haben wir einst die Fahne der sexuellen Revolte hochgehalten. Vorbei. Eine neue Studie zeigt: Studierende sind Serien-Monogamisten

Was wir in den vergangenen 20 Semestern verzweifelt geleugnet haben, Professor Gunter Schmidt präsentiert es uns nun schwarz auf weiß: Wir sind monogam, seriell monogam, soll heißen, immer wieder monogam. Der Hamburger Sexualwissenschaftler hat seine Forschungen aus den achtziger Jahren über das Sexualverhalten von Studierenden 1996 fortgesetzt; seine These spitzt er zu: „Die serielle Monogamie ist die Beziehungsform, die durch die Studierenden perfektioniert worden ist.“

Mein Freundeskreis wird von Schmidts Veröffentlichung, die dieser Tage zu erwarten ist, fürchterlich getroffen sein. Ist Martin nicht schon seit vier endlosen Jahren mit Petra zusammen, und sind seine monatelangen Bemühungen, mit Bettina eine ordentliche Bettgeschichte anzufangen, nicht in nächtlichen Diskussionen um Verletzungs- und Vergeltungsstrategien im Beziehungsquadrat schlicht versandet? „Glaubst du, man kann Erotik auch einfach zerreden?“ fragte Bettina nachher selbstkritisch. Zu spät, meine Liebe! Klassenziel nicht erreicht!

Auch Martin ist verzweifelt, denn wie soll er nun Petra glaubwürdig dazu animieren, sich ihre polygame Freiheit zu nehmen, wenn er selbst nicht die kleinste Affäre schafft? O nein, bilanzierte Petra ebenso zynisch wie akademisch: „Er ist Opfer meiner imaginierten Besitzansprüche – die in Wirklichkeit seine eigenen sind – und kann sich von der Fiktion meiner Eifersucht – die in Wirklichkeit seine eigene ist – nicht freimachen.“ Aha. Schmidt lobt diese Form der Verhackstückung von Intimitäten als „Verhandlungskultur, die sich auch auf den Umgang mit Seitensprüngen erstreckt“. Nichts bleibt ungesagt, alles wird erfaßt – kein Wunder, daß es kein Mensch mehr schafft, untreu zu sein. „Das Verhalten“, diagnostiziert Schmidt, bleibt 1996 stärker als je zuvor „hinter den Kognitionen zurück“: Alle behaupten, daß alles möglich sei, aber keiner hält sich dran.

Blanker Hohn, zu Recht. Wer hat nicht schon alles die Fahne der sexuellen Revolte hochgehalten, um sein bürgerliches Sicherheitsstreben zu kaschieren! Wild und gefährlich haben wir auf Semesteranfangspartys die schönsten Neuzugänge angegrinst, frei nach Rosa Luxemburg sollte eine Revolution, auf der wir nicht fremde Menschen küßten, nicht die unsrige sein. Und dann dauert es keine drei Wochen, und man plant schon den gemeinsamen Urlaub des übernächsten Jahres. Mit Alexandra Kollontai und Rainer Langhans, Lenin und Marcuse wurde das Studium für unberechenbar-begehrenswert, flirtativ-berauscht erklärt – und was ist passiert? Zur obersten Streikforderung wurde „besserer Unterricht!“, zu Hause dümpeln wir seit anno tuck mit den seriell selben Lebensabschnittsbegleitungen vorm Fernseher und streiten uns um Chipssorten. Und sind glücklich dabei.

Neulich kam heraus, daß Mirko die Affäre mit Bärbel nur vorgetäuscht hat, um Bettina zurückzuerobern – „Bärbel fühlte sich so fremd an“, soll er zur Verteidigung vorgebracht haben. Bärbel wiederum war ganz froh, „sich nicht tatsächlich auf was eingelassen zu haben“, sie steuert aufs Examen zu und will sich „keine Gefühlsattakken mehr leisten“. Was ist von solchen Leuten auch anderes als Serien-Monogamie zu erwarten? Ulrike Winkelmann

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