: Theater in der Toilette
■ Keine sprechenden Köpfe oder bekannten Räume: Das Festival „Junge Hunde 98“schlägt ab Mittwoch auf Kampnagel Radau
Das Theater entdeckt seine Metamorphosen. Wer innovativ sein will, verzichtet darauf, ein Stück eines Autors zu inszenieren. Nichts scheint schlimmer zu sein, als einen vorgefertigten Text interpretierend auf die Bühne zu bringen. „Ich ertrage sprechende Schauspieler auf der Bühne nicht lange. Da werde ich müde“, findet auch Dirk Wenzel.
Dabei ist gerade er einer der wenigen, die sich beim Festival „Junge Hunde ,98“vom 8. April bis zum 2. Mai auf Kampnagel, das gestern auf einer großangelegten Pressekonferenz präsentiert wurde, ein Theaterstück zur Grundlage einer Inszenierung gewählt haben. Aber auch Jungregisseur Wenzel achtet darauf, daß bei Edward Bonds Das Bündel nicht der Text, sondern das Agieren der Darsteller im Mittelpunkt steht.
Ansonsten bleibt bei der sechsten Auflage des Festivals für den Nachwuchs alles beim Alten – also beim Neuen. Insgesamt 13 Projekte werden gezeigt, darunter fünf Gastspiele aus Nachbarländern. Zwei Clubabende sowie ein Foyergespräch um das Thema Theater goes Pop ergänzen das Programm.
Konventionelle Theaterformen werden vermieden – wenn sie nicht gar explizit angegriffen werden. Die Bühne dient nicht mehr nur als Raum des künstlerischen Ausdrucks. „Wer, wie wir, zur Zeit zu fünft in einer Zweizimmer-Wohnung lebt, muß sich auf der Bühne Raum schaffen“, erklärt Veit Sprenger für das Showcase Beat Le Mot. Getreu dem von den Hamburger Diskursrockern Blumfeld gestreuten Motto „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg“will die Gießener Performance-Gruppe das gesamte Theater, von Bar bis Klo, in Beschlag nehmen und so eine Öffnung erreichen, die auch das Publikum mit einbezieht.
Überhaupt ist der Ausflug ins Autobiographische inzwischen nicht mehr verpönt. Die Theatermacher tendieren im Gegenteil dazu, das eigene Ich über Tanz und Schauspiel öffentlich zu machen und es mit der Fiktion zu verweben. So sollen etwa bei Ute Rauwalds Sechs häßliche Töchter die Schauspielerinnen ihre eigene Erfahrung als Schwester im Spannungsfeld zwischen Liebe, Lust und Konkurrenz in Beziehung setzen zu Federico Garcia Lorcas Bernada Albas Haus.
Alles beim Alten bleibt auch bei der Budgetierung des Festivals. Rund 160.000 Mark stehen für die Inszenierungen zur Verfügung. „Das Renommée der Veranstaltung steigt, doch das Budget stagniert“, erkennt auch der künstlerische Leiter von Kampnagel, Res Bosshart, „dabei kann das Festival doch ein Sprungbrett, wenn nicht gar ein Katapult für die jungen Leute sein.“Der Erfolg einiger Junger Hunde gibt ihm recht, sind doch einige Teilnehmer der letzten Jahre inzwischen echte Größen im Theatergeschäft Europas.
Eberhard Spohd
Programm und Karten über Kampnagel, Tel.: 27 09 49 49
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