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Yuccapalmen-Witze vor dem Kölner Dom

■ Von Wunderkammern, abgewaschenen Zeichen und anderen Surrealismen: Der Hamburger Bahnhof zeigt filmische Installationen des belgischen Konzeptkünstlers Marcel Broodthaers

Sein größter Wunsch war: einmal 70 Millimeter. Weil das Bild dann nicht mehr wackelt. In Wirklichkeit blieb das Budget von Marcel Broodthaers für seine Filme jedoch bescheiden. Manche Produktionen kosteten umgerechnet gerade mal 400 Mark, und zum Kopierwerk brachte er die Stapel mit Super-8-Rollen gleich persönlich – schließlich waren es Kunstwerke. Einmal allerdings hatte der belgische Konzeptkünstler Glück: Parallel zu einer Ausstellung 1971 in Düsseldorf wurde ein Film von ihm im Vorprogramm zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ gezeigt.

Obwohl der 1976 gestorbene Broodthaers auch künstlerisch niemals den Sprung in den Mainstream geschafft hat (und es vielleicht auch gar nicht wollte), sind seine Filme jetzt in einer Retrospektive im Hamburger Bahnhof zu sehen. Das gesamte obere Stockwerk wurde dafür in abgedunkelte Kabinette verwandelt, in denen man nun so seltsamen Installationen wie „Section Cinéma“ begegnet. Im Stil einer Wunderkammer wurde hier für ein imaginäres Museum die Geschichte der Kinematographie aus lauter Filmspulen und Projektoren zusammengestellt. Gegenüber hängt eine Weltkarte, die in Broodthaers' „Baudelaire“-Verfilmung alle paar Sekunden eingeblendet wurde. Ansonsten besteht der Film von 1971 aus Schwarzbildern mit einem Datum in der Unterzeile. Manchmal werden die Pausen länger, dann sind plötzlich drei Wochen vergangen; manchmal springt das Datum aber auch zurück, schließlich geht es ja um Kino und nicht um die Realität.

Offenbar hatte Film für Broodthaers den Vorteil, Verwirrung mit den Zeichen schaffen zu können. Als Erbe von René Magritte hatte er 1967 „Dies ist kein Magritte“ unter eine Pfeife geschrieben, und auch sonst tauchen Zitate aus dem Surrealismus gerne in den Filmen auf. 1974 sieht man Broodthaers etwa mit einer Yuccapalme vor dem Kölner Dom sitzen, die er schützend umklammert. Zwischendurch darf eine junge Frau kurz den Rock lüpfen und ihre plusterigen weißen Unterhosen in den Wind hängen, bevor in „Eau de Cologne“ nur noch eine Postkarte von Köln zu sehen ist.

Angefangen hatte die Leidenschaft fürs Filmemachen bei Broodthaers mit einer Hommage an Kurt Schwitters. 1957 war er um den Merz-Bau herumgetanzt und hatte mit vielen Schnitten eine szenische Montage der collagenähnlichen Skulptur gedreht. Danach war Kunst nur noch am Rande ein Thema, eher schon arbeitete Broodthaers mit Poesie und Sprache. Besonders gelungen ist dabei „Le pluie“ von 1969, wo der Belgier mit minimalem Aufwand die Zeichen durcheinanderwirbelt: Ein Mann sitzt im Garten und versucht auf ein Blatt Papier den Satz „Projekt für einen Text“ zu schreiben. Aber dann fängt es an zu regnen, und die Buchstaben schwimmen davon.

Die Ausstellung im Hamburger Bahnhof ist nicht chronologisch, aber sehr biographisch angelegt. Vitrinen voller Requisiten wechseln mit Dokumenten und Filmstills. In seiner Leidenschaft fürs Kino war Broodthaers stets auch auf eine sofortige Entzauberung der Bildproduktion versessen. Auf einer schmalen Wandfläche rast immer wieder „Eine Sekunde der Ewigkeit“ vorbei. Der Film setzt sich aus 24 Bildern zusammen, die zeichentrickartig die Initialien M.B. aufscheinen lassen. Dazu muß man sich allerdings den Broodthaers-Satz hinzudenken, daß „Narziß das Kino erfunden hat“. Harald Fricke

Bis 24. Mai, Di.–Fr. 10–18, Sa./So. 11–18 Uhr, Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50–51

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