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Die Drehscheibe der Costa del Sol holt auf

Málaga tritt aus dem Schatten von Granada und Sevilla. Mit EU-Mitteln wird die vergammelte Altstadt saniert  ■ Von Sebastian Bartels

Pepe, warum leben Sie in Málaga?“ Der grauhaarige Kellner faßt sich an seine Hornbrille: „Señor, weil ich hier geboren bin!“ Und was gefällt ihm an dieser Stadt? Achselzucken. Seit 36 Jahren arbeitet der 56jährige im Café „Casa Arranda“ in der Altstadt, aber so eine Frage hat wohl noch kein ausländischer Gast gestellt.

Málaga, Halbmillionenstadt und mit 50.000 Studenten eine der größten Universitätsstädte Spaniens, klingt auch in Reiseführern nach einer Nullnummer: „Für viele steht der Besuch Málagas nur als Tagesausflug auf dem Programm. Trotz des klangvollen Namens genügt dieser eine Tag vollkommen, denn die Stadt hat nur wenig Sehenswürdigkeiten zu bieten.“ Fast hämisch setzt Merians „Besser Reisen“ noch eins drauf: „Man kann die Besichtigung Málagas gut und gerne in einem halben Tag absolvieren und sich dann Lohnenderem zuwenden.“

Viele Touristen bleiben nicht einmal einen halben Tag hier. Für sie ist Málaga nur die „Touristendrehscheibe“ der Costa del Sol, wie die Reiseführer feststellen. Allein 600.000 Deutsche besuchten im letzten Jahr die Sonnenküste, die Hälfte von ihnen flog über Málaga ein. Ihr Reiseziel: benachbarte Badeorte wie Torremolinos. Achtlos ziehen sie an der riesigen Altstadt vorbei, an der sich zum Hafen hin wie ein behauener Felsen die Kathedrale erhebt.

„Die Einarmige“, so nennen die Málagueños ihr Gotteshaus – denn der Kirche fehlt ein Zwillingsturm. Der Grund: Im Jahre 1783 stoppte König Karl III. die Arbeiten nach 250jähriger Bauzeit. Der aufgeklärte Herrscher sparte Geld, um die Amerikaner in ihrem Unabhängigkeitskrieg gegen England zu unterstützen.

Die einarmige alte Dame meldet sich nur zaghaft: Das stumpfe Glockengeläut der Kathedrale klingt so, als wenn jemand gegen ein Eisenrohr schlägt. Das irdische Geräusch paßt zur Umgebung: In fast allen Altstadtgassen sägen, hämmern, schweißen und schrauben Bauarbeiter. Vor zwei Jahren begann die Stadtverwaltung mit der generalstabsmäßigen Sanierung. Dieser „Plan Urban“, den die EU seit 1995 finanziert, umfaßt zahlreiche Programme der Wohnungs- und Stadtplanungsbehörde. Dazu gehören ökologische und soziale Wohnverbesserungen.

Erste Erfolge dieses Plans sind unübersehbar: Auf vielen Fassaden ist der Stuck wieder herausgearbeitet, andere Bürgerhäuser sind schon eingerüstet. Auf Planen wirbt die städtische Wohnungsbehörde mit dem Slogan „Bring Farbe ins Zentrum!“. Die Aufforderung ist ernst gemeint: Die private Gesellschaft „Promálaga“ fördert Verschönerungsmaßnahmen ansässiger Geschäftsleute je zur Hälfte. Die Fäden dieser Aktionen laufen bei der Bürgermeisterin Celia Villalobos zusammen. Das komplizierte Organisationsgeflecht erschwert allerdings eine schnelle Umsetzung. So räumte die Politikerin in diesem Frühjahr gegenüber der Zeitung Sur ein: „Die Projekte verzögern sich, weil die Verwaltung so langsam ist.“ Einige Seiten weiter mahnte die Zeitung auf ihre Art zur Eile: Das Foto einer Hausruine kommentierte sie mit den Worten: „Wer sagt, Málaga sehe aus wie nach einem Krieg, hat recht.“

Dieses Bild trifft vor allem für das Altstadtquartier am kanalisierten Fluß Guadalmedina zu. Wer Geld hatte, mied schon früher diese Gegend, in der es mehr Bordelle als anderswo in Málaga gab; denn bis zum Bau eines Staudamms plagten Überschwemmungen die Bewohner. Jetzt wächst Gras auf den Balkonen der geduckten Häuser. Die Haustüren sind zugenagelt, Scheiben zerschlagen, manches Dach ist eingestürzt.

Auslöser dieses Verfalls war die massive Landflucht. Sie setzte Anfang der sechziger Jahre ein. Pedro Marin, Planungsdirektor im Bürgermeisteramt, zeichnet eine steile Kurve auf das Papier: „Schauen Sie, im Jahre 1960 hatten wir nur 250.000 Einwohner – 20 Jahre später waren es schon 530.000! Die Zuwanderer zogen in die großen Neubauviertel an der Peripherie; in der Altstadt blieben alte Leute, die niedrige Mieten zahlten.“ Marin zuckt mit den Schultern: „Die konnten sich keine Renovierung leisten.“

Heute wohnen wieder viele junge Menschen in der Altstadt – vor allem Studenten. Wo geht die „marcha“ heute ab? fragen sie sich jedes Wochenende. Die Auswahl fällt schwer, denn Málaga hat eine der höchsten Kneipendichten Spaniens. Allein in 15 Gassen befinden sich mittlerweile 250 Pinten. In Málagas lauen Nächten tingeln Cliquen von Kneipe zu Kneipe, bis zum Morgengrauen knattern Mofas durch die Gassen. Schon haben lärmgeplagte Anwohner sich zu einer Nachbarschaftsinitiative zusammengeschlossen. Ihr Vorsitzender José Melero schimpft: „Obwohl gegen einige Kneipen über 200 Beschwerden vorliegen, bleiben die doch tatsächlich geöffnet!“

Zur Mittagszeit haben die Anwohner ihre Ruhe. Nur Katzen streunen durch die Gassen, gelegentlich faucht eine Espressomaschine. Aus den Fenstern ziehen Olivenöldünste. Jetzt füllen sich die Cafés in Pedregalejos, Málagas schönstem Strand. An der Promenade recken sich Palmen in den meist blauen Himmel. Hier sitzen Dozenten mit ihren Studenten beim Wein, Frauenhelden mit offenem Hemd und Sprachschüler vor ihrem Vokabelheft.

Am Strand hängt fast jeden Nachmittag Ignacio mit seiner Clique herum. Der 26jährige Baske lebt gern in Málaga. Er läßt Sand durch die Finger rinnen und lacht: „Wegen der vielen Zuwanderer geht es hier kosmopolitischer zu als in Granada oder Sevilla. Dort ist alles so penetrant andalusisch!“

Andalusien-Reiseführer berichten nur knapp über Málaga. Die dortigen Touristenbüros halten jedoch informative deutschsprachige Broschüren und Kulturprogramme bereit. Auf spanisch ist erschienen: Rosa Pedrero Morán: „Guia Secreta de Málaga“, Ediciones Júcar, 295 Seiten, ca. 30 DM

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