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Umzug in den Tanzsaal

Gesichter der Großstadt: Susanne Stumpenhusen will als neue ÖTV-Vorsitzende gegen den schlechten Ruf des öffentlichen Dienstes und gegen die BVG-Privatisierung kämpfen  ■ Von Julia Naumann

Das große Vorbild war immer die Großtante. Da die meisten anderen Frauen sich in ihrer Familie nur als Hausfrauen und Mütter betätigen konnten, interessierte sich Susanne Stumpenhusen schon immer für die Lebensgeschichte und die Fotos ihrer Großtante: Die war nämlich Straßenbahnschaffnerin und soll, so wurde es ihr überliefert, nach dem ersten Weltkrieg auf dem heimischen Kachelofen thronend Wahlkampfreden für die USPD geschwungen haben.

Vielleicht hat 43jährige Susanne Stumpenhusen deshalb ein Faible für die öffentlichen Verkehrsbetriebe – nicht nur als „bekennende BVG-Benutzerin“, sondern auch als frischgebackene ÖTV-Vorsitzende. Mit ihrer Gewerkschaft kämpft sie derzeit vehement gegen eine mögliche Privatisierung des Unternehmens. Ihr Vorgänger Kurt Lange, der jetzt im Bewag- Vorstand sitzt, fuhr da eleganter. Er hatte jahrelang einen Dienstwagen. Den benötigt Stumpenhusen nicht.

Auch sonst wirkt die frischgebackene Vorsitzende bescheidener: Der Umzug von ihrem vollgestopften kleinen Raum in den „Tanzsaal“, wie sie das riesige repräsentative Zimmer vom Ex-Vorsitzende Lange im ÖTV-Gebäude in Kreuzberg bezeichnet, erfüllt sie dann doch ein bißchen mit Gruseln. Aber: „Da muß ich wohl jetzt rein“, sagt sie matt lächelnd.

Doch von Repräsentanz läßt Stumpenhusen sich nicht einschüchtern: Sie verfolgt klare politische Ziele. Susanne Stumpenhusen möchte in den nächsten Monaten radikal gegen die Privatisierung öffentlicher Betriebe, sei es die BVG, seien es die städtischen Krankenhäuser oder die Wasserbetriebe, kämpfen: „Es ist ein hartnäckiges, aber falsches Gerücht, daß eine Anstalt des öffentlichen Rechts nicht ordentlich arbeiten kann“, sagt Stumpenhusen bestimmt.

Ihre Gewerkschaft wolle „nachweisen“, daß diese Betriebe in der Lage seien, wirtschaftlich zu arbeiten, kündigt sie etwas vollmundig an. Gewerkschaften würden immer nur als „ewige Besitzstandswahrer“ gesehen, ihre vielfältige Gestaltungsfunktion aber in der Öffentlichkeit unterschlagen.

Die 43jährige ist fest davon überzeugt, daß der öffentliche Dienst neu organisiert werden könne, so daß er „zukunftsfähig“ sei und nach wie vor auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet werden könne.

Im Privatleben ist „Suse“, wie sie von KollegInnen und FreundInnen genannt wird, jedoch absolut keine Besitzstandswahrerin. Sie hat einen vierjährigen Sohn, Marius, und um den kümmert sich fast auschließlich ihr Freund, der noch studiert. „Sonst hätte ich gar kein Kind bekommen“, sagt sie rückblickend. Direkt nach dem Mutterschutz hat Stumpenhusen ihren Job wiederaufgenommen, „das war sehr wichtig für mich.“ Ab 1989 war die Gewerkschaftsekretärin im ÖTV-Bereich Wissenschaft und Forschung, 1993 übernahm sie die Geschäftsführung Bereich Länder, 1995 die Abteilung Landesverwaltung.

Zur Gewerkschaftspolitik ist Stumpenhusen über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme 1984 ins Bezirksamt Spandau gekommen. Dort kämpfte sie dafür, daß auch ABMlerInnen gewählte Interessenvertretungen bekommen. Vorher studierte die Niedersächsin, die in Wolfsburg zur Schule ging, von 1974 bis 1981 Soziologie und Politik an an der Freien Universität, wo sie sich auch verstärkt für frauenspezifische Themen interessierte. „Ich war jahrelang in einer Frauengruppe, wo wir über alles geredet haben“, sagt sie etwas wehmütig. Auch heute habe sie mit den fünf Frauen noch Kontakt, die im übrigen – darauf legt sie Wert – genauso wie sie alle Arbeitertöchter waren. Ihr Vater arbeitet als Schmiedemeister. Doch als Feministin möchte sie sich nicht bezeichnen: „Schubladen mag ich nicht.“ Dennoch: Sie ist stolz darauf, die erste weibliche Vorsitzende der ÖTV in Berlin zu sein. Daß sie gewählt wurde und sich gegen ihren Kontrahenten Uwe Scharf durchsetzen konnte, habe nichts damit zu tun, daß sie eine Frau sei. Damals, an der Uni, war sie ständig am „Suchen nach der richtigen Form von Politik“, und recht bald fand sie die Frauenbewegung „wahnsinnig dogmatisch“. Ihre politische Heimat ist eben die ÖTV geworden, „hier habe ich das Gefühl, das ich richtig bin“, und guckt dann doch ganz wohlwollend und neugierig in den „Tanzsaal“, ihr neues Amtszimmer.

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