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Wahlleiter haben Angst vor dem Wahlabend

■ Probleme bei der Vorbereitung der Bundestagswahl: Weil eine neue Computer-Software nicht funktioniert, drohen der Stadt Millionenkosten. Bezirksbürgermeister stellen Ultimatum. Landeswahlleiter leh

Am 27. September ist Bundestagswahl – doch die ordnungsgemäße Stimmabgabe ist in Berlin bislang überhaupt noch nicht gesichert. „Alles, was schiefgehen kann, geht schief“, urteilt der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) über den Erprobungsstand einer neuen Software für die Stimmenauszählung. Der Rat der Bürgermeister hat jetzt ein Ultimatum gestellt: Wenn die Computer bis zum 8. Mai nicht störungsfrei laufen, wollen die Bezirke auf das bisherige Verfahren zurückgreifen. Auf das Land Berlin kämen dann Kosten für den zusätzlichen Personaleinsatz in Höhe von knapp 4,2 Millionen Mark zu.

Die Stimmabgabe für die Bundestagswahlen 1994 kostete die Stadt knapp 8,2 Millionen Mark. Diesmal sollte es billiger werden. Im Landeshaushalt sind lediglich 4 Millionen Mark eingeplant. Mit dem Einsatz von Computern soll Personal eingespart und zudem die Übermittlung und Auszählung der Stimmen beschleunigt werden. Eingekauft wurde von der Senatsinnenverwaltung dafür eine von der Stadt Hamm entwickelte Software. Damit aber gibt es ungeahnte Anpassungsprobleme und zahlreiche Abstürze bei Probeläufen.

„Angesichts des immensen Termindrucks“, so heißt es in einem Vermerk der Kreiswahlleiter von Anfang März, sei „es unverantwortlich, weiterhin auf eine Software zu vertrauen, die bisher nicht ausgefeilt ist und deren Anwendung keineswegs sicherstellt, daß eine ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Bundestagswahlen gewährleistet wird“. Schließlich müssen bereits weit im Vorfeld der September- Wahl das Wählerverzeichnis aufgestellt sowie die Briefwahlunterlagen und Kandidatenlisten erstellt werden.

Ähnlich kritisch äußern sich auch die Bezirksbürgermeister. Sie fürchten, bei Problemen mit der Stimmauszählung verantwortlich gemacht zu werden. Die Innenverwaltung hat am vergangenen Freitag deshalb bereits zugesagt, die zusätzlichen Personalkosten zu tragen, falls das System nicht eingesetzt wird. Allein für den Bezirk Charlottenburg sind das nach Angaben des stellvertretenden Bürgermeisters Helmut Heinrich (CDU) 268.000 Mark, die bezahlt werden müßten.

Für die 23 Bezirke addieren sich über 4 Millionen Mark an zusätzlichen Personalkosten. Dabei wurden für die computergestützte Wahldurchführung bereits Computer für 2,7 Millionen Mark eingekauft. Werde nun doch „zu Fuß ausgezählt“ (Helmut Heinrich), dann lägen die Gesamtkosten nicht unter, sondern weit über denen der vergangenen Bundestagswahl.

In den letzten Wochen ist es nach Darstellung von Mitarbeitern der Kreiswahlämter zwar gelungen, die Hammer Software zumindest bei der Aufstellung der Wählerverzeichnisse und der Vorbereitung für die Briefwahl zu verbessern. Weit größere Probleme gibt es bei der Stimmenauszählung und Übermittlung an das Statistische Landesamt. Selbst Probeläufe mit weit geringeren Stimmzahlen, als am Abend der Bundestagswahl bewältigt werden müssen, führten zu Abstürzen.

Bei der Innenverwaltung hält man sich mit Auskünften zurück. „Das System ist in der Erprobung“, teilt die Pressesprecherin Isabell Kalbitzer lediglich mit.

Die Hammer Software sei eben „kein Produkt von der Stange“, urteilt der Landeswahlleiter Günther Appel über die Probleme. Er gehe davon aus, daß die Software „schrittweise den Bedürfnissen“ des ungleich größeren Berlin angepaßt werden könne. Die Verantwortung dafür aber möchte offenbar auch Appel nicht übernehmen.

„In der Sitzung wurden die Kreiswahlleiter vom Landeswahlleiter darauf hingewiesen, daß ... die Verantwortung sowohl für den korrekten Hard- und Softwareeinsatz als auch für die Wahlkreisergebnisübermittlung ausschließlich bei ihnen liegt“, heißt es im Protokoll vom 31. März. Gerd Nowakowski

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