■ Vorschlag: Im Dauerregen: Werkschau des Regisseurs Bela Tarr im Babylon
Die „Titanic“ gibt es auch bei Bela Tarr. In seinem Film „Verdammnis“ (1987) ist die Titanic allerdings eine Bar, in der die Nachtclub-Sängerin mit einem derart dunkel-monotonen Sprechgesang auftritt, daß man hinter ihr Nico vermuten möchte. Der 1955 geborene ungarische Regisseur, der mit 16 Jahren Amateurfilme zu drehen begann und zwischen 1977 und 1981 an der Budapester Hochschule für Theater und Filmkunst Regie studierte, läßt die Kamera während des ganzen Lieds auf der Sängerin verharren.
Neben dem dunklen Licht und dem häufigen und immer sehr heftig niederprasselnden Regen bestimmen die sehr langen Einstellungen den Charakter seiner Filme. Es scheint, als ob er den ersten Rohschnitt schon als den fertigen Film betrachtet. Durch das lange Verweilen der Kamera auf den Protagonisten haben selbst seine Spielfilme die Anlage eines Dokumentarfilms. Wie etwa „Satanstango“ (1992–94), der die übriggebliebenen Bewohner einer aufgelösten LPG zeigt, wie sie auf den Erlöser Irimiás warten. Dieser Film hat dann auch die Länge von rund sieben Stunden.
Wenn Tarr sagt, er filme, weil er Geschichten verabscheue, denn die machten einen glauben, es sei etwas geschehen, dann kommt freilich auch er nicht um die Geschichten herum. Und die, die er erzählt, sind – trotz ihrer extravaganten Erzählweise – recht konventionell. Da gibt es den Mann mit der einen großen Liebe („Verdammnis“, 1987). Da gibt es die betrunkenen Männer, die sich gerne in langen Monologen ergehen, die nur cinephile Esoteriker für Philosophie halten können. Da gibt es die keifenden Frauen, die stets um das Geld streiten, das die Männer in den Kneipen lassen („Der Außenseiter“, 1980). Da gibt es überhaupt das teuflische Geld. Um das sich der Sohn mit der Mutter, die Pflegerin mit dem Lehrer streiten („Herbstalmanach“, 1984) und das Tarrs männlichen Müßiggängern wie seinen weiblichen Spießbürgerinnen gleichermaßen fehlt. Kurz, man muß schon die ganze entsetzliche existentielle Romantik in Kauf nehmen, um zu sehen, wie Tarr diese Fabeln um Ausweglosigkeit, Erstarrung, Kommunikationslosigkeit doch in ein filmisches Faszinosum verwandelt. Daß Tarr das Kino beeinflußt hat, zeigt ein Film, der jetzt ins Kino kommt. Pal Sletaune „Wenn der Postmann gar nicht klingelt“ inszeniert ein Oslo, das genauso wie die arme, im Schlamm versinkende ungarischen Provinz aussieht. Brigitte Werneburg
Bis zum 15.4. im Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, Termine siehe Tagesprogramm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen