„Wir mischen mit“

Dutzende von Redaktionen arbeiten – jede für sich – an „der“ anthroposophischen Zeitschrift
■ Von Jens Heisterkamp

Unser empörter Leserbriefschreiber, nach eigenem Bekunden „Liegeradfahrer aus Überzeugung“, gab seine Überraschung zu: Daniel T. Jones, Erfinder des „Lean Management“-Prinzips und Sanierer in der Automobilbranche, hatte in einem Interview mit Info 3 erkennen lassen, daß er wesentliche Anstöße dem Gründer der Anthroposophie verdankt. Mit Rudolf Steiner die Blechfabrikation in Schwung bringen? Ganz so einfach verhält es sich nicht, aber Verunsicherungen dieser Art – Motto: „Wir mischen mit“ – gehören ohne Zweifel zu den Highlights anthroposophischer Zeitschriften.

Rund ein Dutzend davon erreichen heute zusammen etwa 80.000 Exemplare Druckauflage – manche davon mit steigender Tendenz, denn Themen wie Reinkarnation oder Alternativmedizin liegen im Trend. Der naheliegende Gedanke, diese Kapazitäten zu bündeln und damit eine „richtige“ Zeitschrift aufzubauen, würde in Fachkreisen jedoch nur ein freundliches Lächeln ernten. Die Kooperationsbereitschaft ist hier ähnlich ausgebildet wie unter diversen marxistischen Splittergruppen. Immerhin trifft man sich zweimal im Jahr zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch, etwa zum Thema „Berufsethik“.

Wenn die einzelnen Blätter anschließend darüber berichten, glaubt man allerdings nicht selten, hier wäre jeder auf einem anderen Treffen gewesen. Vom gewichtigen Verbandsorgan bis hin zum Ein-Mann-Unternehmen sind die verschiedenen Ansätze einfach zu unterschiedlich.

Älteste im Bunde ist die noch von Steiner selbst gegründete Wochenschrift Das Goetheanum, heute das offizielle Verbandsorgan der Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach. Nicht nur hinsichtlich seiner asketischen Aufmachung – Text pur auf rasch gilbendem Zeitungspapier – zeigt sich die Mutter des anthroposophischen Journalismus seit den zwanziger Jahren fast unverändert. Ähnlich traditionsbewußt versteht sich die in Stuttgart verlegte monatliche Kulturzeitschrift Die Drei, die ihren Schwerpunkt auf Essayistik legt und demnächst wöchentlich erscheinen will. Ebenfalls in Stuttgart geht die auf Waldorf-Pädagogik spezialisierte Erziehungskunst neuerdings so heiße Eisen wie das umstrittene Fußballspielen an Steiner-Schulen an, während Die Christengemeinschaft als Hauszeitschrift der gleichnamigen religiösen Bewegung mehr auf besinnliche Themen setzt. Mit Hochglanzpapier und aufwendigen Kunstreproduktionen kämpft die in der Schweiz produzierte Novalis als „Zeitschrift für spirituelles Denken“ ums Überleben, ist aber immerhin als bisher einziges anthroposophisches Druckerzeugnis an manchen Bahnhofskiosken zu haben (die übrigen werden fast ausschließlich per Abo vertrieben). Geziert mit waldorfmäßiger Schraffurzeichnung und dem Siegel „Für Mitglieder“ bekommen selbige die „Mitteilungen aus der Anthroposophischen Arbeit in Deutschland“ frei Haus. „Geistiges Erkenntnis-Ringen“ steht hier im Vordergrund, etwa zu der Frage, ob die von Steiner gegründete Anthroposophische Gesellschaft aufgrund eines juristischen Formfehlers womöglich nie existiert hat.

Unter ihren Mitbewerberinnen galt die in Frankfurt erscheinende Info 3 schon immer als die etwas andere Zeitschrift. Aufmachung und Themen signalisieren, daß die Monatsschrift nach rein journalistischen Spielregeln funktioniert. Ausgerechnet die mit einer Auflage von 14.000 Stück meistverbreitete Postille anthroposophischer Provenienz ist von allen Vorständen unabhängig und greift immer wieder auch Mißstände und Konflikte innerhalb der eigenen Szene auf. „Das ist der anthroposophischen Sache nicht dienlich“, nörgeln Funktionäre, wenn Info 3 wieder einmal kritisch über Gremien oder Vorstandsentscheidungen berichtet.

Nach dem Motto „Wenn keiner mein Genie versteht, dann muß ich eben meine eigene Zeitschrift machen“ floriert auch unterhalb der 1000er-Auflage noch so manches Liebhaberstück. Die an Kleinstaaterei erinnernde Vielfalt ist ein Grund dafür, daß anthroposophische Zeitschriften bis heute in der öffentlichen Meinungsbildung so gut wie keine Rolle spielen. Ein weiterer ist die verbreitete Liebe zur eigenen Verschrobenheit. Obwohl die Welt in anthroposophischen Zeitschriften regelmäßig über „das Mysterium des dreigliedrigen Menschen“, „Niedergangssymptome der Gegenwartszivilisation“ oder „Seelisches Erleben als Abbild des Kosmos“ unterrichtet wird, will das Interesse an solch angesagten Themen nicht recht zunehmen.

Einigkeit besteht im anthroposophischen Blätterwald aber über die Vision, eines Tages doch noch mit einem ernstzunehmenden Printmedium bundesweit am Kiosk zu landen: Irgendwo zwischen dem Sonntagsblatt, der taz und der Esotera würde das Ergebnis wohl liegen. Wer weiß, in zehn Jahren? Vielleicht sind bis dahin aber auch spirituelle Themen so selbstverständlich in den Medien vertreten wie heute zum Beispiel die Ökologie. Letzten Endes läßt sich eine anthroposophische Zeitschrift daran erkennen, daß man in ihr lesen kann, wo der Geist weht – und der tut das bekanntlich, wo er will.

Der Autor ist Redakteur von „Info 3“