: Jenseits der Empörung
■ Flüchtige Orte, Figuren, die kommen und gehen: Hermann Peter Piwitts „Ein unversöhnlich sanftes Ende“ versöhnt am Ende dann doch
Von einem „Roman“ erwartet man, daß er mit mehr oder minder geschlossenen Handlungssträngen aufwartet. Und mit einem überschaubaren, wiederkehrenden Personal, das sich auf die eine oder andere Weise aufeinander bezieht. Vielleicht ist das auch altmodisch, und ein „Roman“ verkauft sich in einer dezentrierten Realität allemal besser als, ja was?
„Dezentriert“ – möglicherweise liegt hier der Schlüssel. Dem „Roman“ Hermann Peter Piwitts, „Ein unversöhnlich sanftes Ende“, fehlt das Zentrum. Auseinanderfließende Wahrnehmungssegmente, Episoden, Geschichten, Assoziationen, gebündelt einzig um ein paar immer wiederkehrende Schauplätze: die südöstliche Metropole und immer wieder das alte Freibad auf dem Land. Zwischendurch, sporadisch, eine Drogerie, ein Café, ein Bahnsteig: transitorische Örtlichkeiten ohne Bedeutung und keine Handlungsträger.
Sowenig wie die Schauplätze erhalten Piwitts Figuren ein Eigengewicht. Sie betreten die Szene ohne erkennbaren Sinn, bleiben flüchtig und verschwinden wieder im diffusen Kollektiv. Dem „Reisenden“, der einzig wiederkehrenden Person, verwehrt sein Schöpfer alles, was ihn charakteristisch erscheinen ließe. Ihn treibt keine erkennbare Motivation, er bleibt nichts weiter als ein Medium der Registrierung. „Man trifft zwar auf Reisen die gleichen Leute, aber man bemerkt sie deutlicher.“
Der fremde, fast ethnologische Blick des Reisenden auf seine Umgebung, seine präzise Wahrnehmung, hat durchaus etwas Lustvolles, selbst dort, wo man sich angeekelt wegdrehen möchte. Denn was er sieht, freut weder ihn noch uns, und die meisten Geschichten, die er beginnt, brechen unmittelbar ab oder versanden ohne Grund. Zum Beispiel: „Wie ließe sich anfangen mit einem Jungen, der an ein Buch gerät...“ Nun könnte ein Entwicklungsroman folgen, doch man erfährt bloß, daß ein Mitreisender auf unappetitliche Weise eine Pizza zu sich nimmt, mit Käse-Ketchup-Grundierung – und das zwei quälende Seite lang.
Abscheu, manchmal schon Ekel, mitunter nur Enttäuschung teilt der Reisende mit dem Autor Piwitt. Wie bei der Geschichte mit der hübschen, wohlduftenden Drogistin, die, als sie den Mund auftut, den Erzähler in den Abgrund stürzt mit ihrer „quäkenden, fiepsenden, flachen, rundum grauenhaft banalen, kurzum vernichtenden Stimme“. Auch die Hausfrauen, die sich auf der Bürgerwiese um ihre Blagen zusammenrotten und sich in ihrer Langeweile eine düstere Mißbrauchsgeschichte zusammenkonstruieren, siedeln im Kaleidoskop menschlicher Abgründe ganz unten.
Überhaupt die Frauen: „Arschbomben“, die ins Wasserbecken hüpfen, fette Mütter und Animierdamen, wohin frau blickt. Wenig Freundliches weiß Piwitt über diesen Teil der Spezies zu berichten, in dieser „geballten Scheiße“, die sich „dicht und gleichmäßig über den Erdball“ verteilt. Was Piwitt präsentiert, ist eine Collage menschlicher Exsudate, nicht ohne einen Rest Freundlichkeit und Anteilnahme. Daß dieses Kabinett der Schauerlichkeiten nicht ganz aus den Fugen gerät und der Denunziationslust des Autors ausgeliefert wird, liegt an der Sprache, präzis und scharf, behutsam und voller Schmerz über die Versehrungen, in Gegenden, wo schmerzfrei zu leben die erste Bürgerpflicht ist.
Wo Piwitt seziert, wie in „geschlossene Gesellschaft“, einem bösen Autogramm der SPD, wirkt er unbarmherzig. Es finden sich jedoch auch ganz zarte Episoden, die vorsichtige Annäherung zweier junger Menschen im Freibad zum Beispiel oder die Geschichte der A., erzählt in einer Hinterhofküche in Prenzlauer Berg und auf die Länge einer Maschinenwäsche zusammengeschnurrt: ein Leben in den Wechselfällen deutscher Geschichte.
Hier hätte beginnen können, was einen „Roman“ ausmacht. Den auszugestalten überläßt Piwitt, der Sprachschützer, seinen Lesern. Am Ende der mäandernden Tour dieses alternden Reisenden, der „kindliches Mitgefühl, die Uneigennützigkeit der Jugend und die vermessene männliche Empörung“ hinter sich gelassen hat und einzig den Tod seiner Katze beklagt, sei der Etikettenschwindel verziehen. Mit Piwitt teilt der Reisende die Hoffnung, „noch einmal wie von Sinnen bei Sinnen, ganz bei sich zu sein“. In diesem Sinne ist er zu lesen, dieser „Roman“. Ulrike Baureithel
Herman Peter Piwitt: „Ein unversöhnlich sanftes Ende“. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 1998, 185 Seiten, 39,80 DM
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