piwik no script img

Kollision von Kunst und Leben

■ Gesichter der Großstadt: Als Medizinstudent ohne Kontakt zur Kunstszene initiierte Klaus Biesenbach die "Kunst-Werke" in Mitte und machte Karriere. Nun organisiert er die "Berlin Biennale"

Zwei Touristinnen stehen vor den „Kunst-Werken“ in der Auguststraße und fragen Klaus Biesenbach nach der Galerie. Biesenbach erklärt, daß die zur Zeit geschlossen ist. Sie fragen weiter, wo denn hier überhaupt Galerien seien. Mitten auf der Auguststraße, wo seit 1992 die Kunsträume nur so aus dem Boden schossen und immer noch mehr hinzukommen. Ein „eigentlich überall“ liegt einem auf der Zunge. Selbst Biesenbach schaut irritiert. Die Touristinnen schauen ratlos. So unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein.

Die Kunst-Werke sind eine Erfolgsgeschichte unter der Leitung von Klaus Biesenbach. 1990 als Verein gegründet, 1992 die aufsehenerregende Aktion „37 Räume“ parallel zur documenta in Kassel, 1993 durch den Senat institutionalisiert. Lotto-Gelder flossen in den Erwerb des Gebäudes und dessen Sanierung.

CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky schwärmt vom innovativen Geist, Kultursenator Peter Radunski schwört auf die Kunst-Werke. Biesenbach war Jurymitglied der Biennale in Venedig, wurde von Catherine David nach Kassel zur letzten documenta geholt, ist Kurator im New Yorker Kunstzentrum P.S.1 und im Center for Contemporary Art in Japan.

Am nächsten Großprojekt wird fieberhaft gearbeitet: Zusammen mit Nancy Spector und Hans-Ulrich Obrist veranstalten die Kunst- Werke die „Berlin Biennale“, die im Herbst beginnen und mit drei Ausstellungen, einem Kongreß und Künstlerprojekten in der Stadt bis ins Jahr 2000 dauern soll. Die Zitty kürte Biesenbach als einen der „Köpfe 98“ – dasselbe geschah parallel in New York. Die großen Zeitungen sind momentan hinter ihm her. Die Süddeutsche Zeitung brachte ein Porträt, ein Zeit-Redakteur jettet zum Interview mit Biesenbach, Obrist und Spector eigens nach New York.

Klaus Biesenbach besitzt Charisma und achtet auf Distanz. Darüber hinaus hat er etwas Beängstigendes. Ein nahezu perfektes Gedächtnis, das nie zu versagen scheint. Das intensive Beobachten des Gegenübers. Das Bemühen um hundertprozentige Exaktheit. Tadellose Korrektheit, kein Formverstoß denkbar.

Viele seiner Sätze beginnen mit: „Ich bin jemand, der.“ Ich bin jemand, der polarisiert, sagt Biesenbach. Das ist eine Antwort auf die Kritik, die ihm widerfährt, und es ist ein Satz, dem wohl auch seine Kritiker zustimmen würden. Manche werfen ihm vor, um die CDU zu buhlen. Manche gnadenlosen Ehrgeiz. Man kann ihn kritisieren oder ihn loben, sagt jemand, aber unerträglich ist für ihn, ignoriert zu werden.

Biesenbach sagt: „Ich bin jemand, der ganz selten gelobt wird, weil alle denken, der ist tough, selbstbewußt, relativ eingebildet. Ich bin eher jemand, der kritisiert wird. Ich habe mit 24 die Kunst- Werke gemacht, und keiner hat gesagt: Der ist erst 24. Ich war Medizinstudent, ohne Kontakte in der Kunstszene, ohne Feedback, ich hätte nicht mal eine Monatsmiete zahlen können. Die Kunst-Werke waren ursprünglich eine leere, auf Zeit gemietete Fabrik in desolatem Bauzustand. Ohne Etat, ohne internationalen Ruf, ohne Stiftung. Sie hatte einzig und allein – und das ist auch auf mich personifiziert – das Potential, zu polarisieren, weil man der Struktur sehr viel zutraute.“

Auch Hans Ulrich Obrist war einer der „Köpfe 98“ in der Zitty. Obrist ist 29, nur wenig jünger als Biesenbach. Unter dem Foto steht: „Wunderkind der Kunstszene“. Unter Biesenbachs Bild steht: „Biennale Berlin“-Macher, „Lieblingskind Berliner Kulturpolitiker“.

Biesenbach sucht die Kollision von Kunst und Leben. Wie in Kassel, wo Christoph Schlingensief im von Biesenbach initiierten Hybrid Workspace wegen seiner „Tötet Kohl“-Aufforderung verhaftet wurde.

Er sieht sich nicht als Galerist, sondern als Ausstellungsmacher. Als jemand, der Leuten die Tür aufhält. Die Kunst-Werke definiert Biesenbach als „institutionellen Freiraum für Künstler und Produktionen, der immer wieder frei wird und bleibt“. Das sei immer auch von Vereinnahmungsversuchen begleitet worden. Die Kulturpolitik meint er damit nicht. Trotzdem sei es eine sehr autonome Struktur geblieben. „Wir haben uns an keinen Investor oder Großsponsor verkauft.“ Und: „Mir gehört kein Ziegelstein in den Kunst- Werken.“

Biesenbach gilt als einer der Begründer des Galerienbooms in der Spandauer Vorstadt. In der Kritik stand vor allem die Aktion „37 Räume“, die als Startschuß zur Eroberung der Auguststraße als Galerienmeile gilt. Die Kunst in Gewerberäumen und leerstehenden Wohnungen zog eine Woche lang täglich fünf- bis siebentausend Menschen durch die Auguststraße. Die Transformation eines städtischen Raums zum Kunst-Raum. Die Kollision von Kunst und Leben. Manche waren genervt. An einer Tür klebte ein Schild: „Heute hier keine Kunst. Drei Ostler“. „Am Anfang wollten alle die Aktion. Aber wenn es umstritten wird, dann wird auf einmal auf jemanden gezeigt: Der war's, der hat alles angezettelt“, sagt Klaus Biesenbach.

Biesenbach, der aus Westdeutschland kam, in München sein Medizinstudium begann, dann eine Weile in New York war und kurz nach dem Mauerfall „wegen des Wendehypes“ in Westberlin keine Wohnung fand, stieß in Ostberlin auf ein Phänomen: Es gab Wohnungen. Ganze leerstehende Gebäudetrakte. Im Osten gab es „ein zeitweiliges Außerkraftsetzen der üblichen Regeln“, sagt Biesenbach. Ein ganz anderes kulturelles Umfeld, mit anderen Oberflächen und anderer Geschwindigkeit. „Das war ja eine Stadt ohne Zeichen, ohne Reklame, ohne bestimmte Farben oder gewohnte visuelle Oberflächen.“ Und die Leerstellen Bestandteil der Stadtdramatik.

Inzwischen haben sich die Regeln, die Geschwindigkeit und die Oberfläche jener angeglichen, die Biesenbach vertraut war. Biesenbach mokiert sich ein bißchen über Toskana- und Zigarrenläden, die aus dem Viertel einen „Themenpark Modernes Leben“ machen.

Es ist, als wäre der Ort samt Kunst-Werken, Kunst-Szene und dem Café und Treffpunkt Hackbarths in der Auguststraße nur eine Transitstation zu jener Ortlosigkeit, die Biesenbach jetzt lebt, wenn er sich zwischen New York, Japan und Berlin bewegt. „Der Ort für einen kann auch Inhalt, Diskurs sein. Der einzige Ort ist die Auseinandersetzung mit gewissen Themen.“

Klaus Biesenbach hat es geschafft und sieht aus, als hätte er irgend etwas dabei verloren. Einen Ort vielleicht. Aber nur einen zeitweiligen. Ulrike Steglich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen