: Mit dem Erfolg fängt die Arbeit erst an
Die neue Friedensregelung für Nordirland wird als historisches Ereignis gefeiert. In sechs Wochen entscheidet Irlands Bevölkerung in getrennten Referenden über den Vertragstext, der wichtige Punkte ausklammert. Den Unionisten laufen die Abgeordneten weg. ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Sinn Féin hat sich Bedenkzeit ausgebeten. Der politische Flügel der IRA ist die einzige Partei, die an den nordirischen Friedensverhandlungen teilgenommen und den Vertrag vom Karfreitag noch nicht unterzeichnet hat. Das Abkommen soll zunächst im Vorstand und mit den Parteimitgliedern beraten werden. Am kommenden Wochenende bietet sich dazu eine erste Gelegenheit, wenn der Parteitag in Dublin abgehalten wird. Vorsichtshalber sind jedoch eine ganze Reihe Kritiker aus den eigenen Reihen vorige Woche aus der Partei geworfen worden.
Die Reaktionen am Wochenende waren für den Sinn-Féin-Präsidenten jedoch ermutigend. Bei den Gedenkfeiern für den Osteraufstand 1916 kamen Tausende auf die Straße und jubelten Gerry Adams zu. Die IRA lobte in ihrer Ostererklärung das Sinn-Féin- Verhandlungsteam und erklärte, sie werde prüfen, ob „der Vertrag einen gerechten und dauerhaften Frieden in unserem Land durchsetzen“ könne.
Um das Abkommen anzunehmen, müßte Sinn Féin die Parteistatuten ändern. Sitze im nordirischen oder britischen Parlament sind bisher verboten, weil das einer Anerkennung der irischen Teilung gleichkäme. Genau das wird nun aber von Sinn Féin verlangt.
Zwei Volksentscheide am 22. Mai
Das Abkommen kann allerdings auch ohne Sinn Féins Zustimmung in Kraft treten. Dafür reicht jeweils eine einfache Mehrheit der beiden Bevölkerungsteile, und die ist auf nationalistischer Seite durch die sozialdemokratische SDLP bereits gegeben.
Was sind die Kernpunkte des „Deals“, wie der Vertrag vom Karfreitag in den Medien genannt wird? Vorausgesetzt, die Bevölkerung beider Teile Irlands gibt in den getrennten Volksentscheiden am 22. Mai grünes Licht, so wird im Juni eine nordirische Versammlung nach Verhältniswahlrecht gewählt. Die 108 Abgeordneten sind für Finanzen, Wirtschaftsentwicklung, Gesundheit, Bildung, Umwelt, Landwirtschaft und Soziales zuständig. Sie stellen eine zwölfköpfige Regierung auf, in der alle Parteien vertreten sind. Sinn Féin hätte Anrecht auf zwei Sitze, wenn ihr Stimmanteil wie im letzten Mai bei rund 16 Prozent liegen sollte.
Diese Regierung muß innerhalb eines Jahres einen gesamtirischen Ministerrat aufstellen, dessen Aufgabengebiet allerdings auf eher nebensächliche Bereiche beschränkt ist. Darüber hinaus wird er keine Entscheidungsmacht haben, wie es die Nationalisten gefordert hatten, sondern den Regierungen in Belfast und Dublin unterstellt sein. Die Forderung der Unionisten nach einem „Rat der Inseln“, in dem Vertreter beider Regierungen sowie der schottischen, walisischen und nordirischen Regionalparlamente sitzen, wird ebenfalls erfüllt. Sinn Féins Verlangen nach einer Polizeireform und nach Gleichstellung des katholischen Bevölkerungsteils wird dagegen an eine Kommission verwiesen. Sie soll bis zum Sommer nächsten Jahres einen ersten Bericht vorlegen.
Lediglich in einer Frage gibt es ein Zugeständnis: Die politischen Gefangenen sollen binnen zwei Jahren freikommen, gutes Benehmen ihrer Organisationen vorausgesetzt. Die irische Regierung hat zugesichert, die beiden Verfassungsparagraphen, in denen ein Anspruch auf Nordirland erhoben wird, im Referendum am 22. Mai abändern zu lassen. Darüber dürfen freilich nur die Südiren abstimmen. Der vorgeschlagene neue Text drückt sich um die Frage, das nationale Territorium ist überhaupt nicht mehr definiert. Zwar sagt der SDLP-Vorsitzende John Hume, eine solche Definition sei „altmodisch“, aber sie hat durchaus praktische Konsequenzen. Künftig könnte die irische Regierung nicht mehr vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, sollte sich die britische Regierung in Nordirland der Gefangenenmißhandlung schuldig machen. In der Vergangenheit ist sie mehrmals dafür verurteilt worden. Nicht nur die als „extrem“ geltenden Organisationen haben deshalb Widerstand gegen die Verfassungsänderung angekündigt. Sogar die Dubliner Wirtschaftszeitung Sunday Business Post, hinter der schwerreiche Geschäftsleute stecken, hat sich erstaunlich scharf dagegen ausgesprochen.
Doch auch Unionistenchef David Trimble hat sein Schäfchen noch lange nicht im Trockenen. Zwar hat der Parteiausschuß am Samstag mit einer Zweidrittelmehrheit für den Deal gestimmt, aber am Wochenende muß auch der Unionistenrat mit seinen 800 Mitgliedern sein Plazet geben.
Gedenkmärsche werden Belastungsprobe
Großen Einfluß auf die Entscheidung hat der Oranier-Orden, eine streng antikatholische Organisation, der fast alle führenden Politiker bei den Unionisten angehören. Es gibt keine Anzeichen, daß die Oranier von ihrem Konfrontationskurs abrücken, der die Krisenprovinz seit drei Jahren im Juli an den Rand des Zusammenbruchs geführt hat. Auch diesmal wollen sie am 12. Juli, dem protestantischen Gedenktag, wieder durch die katholische Garvaghy Road in Portadown marschieren – eine erhebliche Belastungsprobe für das neue Abkommen.
Von Trimbles zehn Abgeordneten haben ihm am Wochenende die Hälfte die Zusammenarbeit aufgekündigt. Da die drei Abgeordneten der kleineren unionistischen Parteien den Friedensverhandlungen von vornherein eine Absage erteilt haben, ist nur eine Minderheit der unionistischen Volksvertreter für den Deal. Und die sollen das Abkommen einschließlich der verhaßten gesamtirischen Institutionen in die Tat umsetzen.
Lob bekam Trimble ausgerechnet von seinen Erzfeinden: „Trimble könnte von der nationalistischen Bevölkerung als eine Art de Klerk angesehen werden, nach dem wir so lange gesucht haben“, sagte der Sinn-Féin-Vorsitzende Mitchel McLoughlin am Samstag. Trimble gab die Nettigkeit zurück: Endlich hätten die Nationalisten akzeptiert, daß es niemals ein vereinigtes Irland geben werde. Auch mit einem Lob von falscher Seite kann man die Position des anderen bei dessen Leuten untergraben.
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