piwik no script img

Omas Taschengeld in Sansibar reicht nur bis 20 Uhr Von Susanne Fischer

Gern dresche ich an dieser Stelle auf die Medien ein, bis ihr Medienblut spritzt. Wenn man genau hinsieht, ist es aber wieder nur Tomatenketchup oder sogar bloß Tomatenketchupsurrogat, falls es sich um ein Billigmedium handelt. Auch schmerzt mich meine Hand nicht, denn in Wirklichkeit habe ich nicht zugeschlagen, sondern nur mit der Faust gedroht und dazu „Klatschklatsch! Böse Medien!“ gerufen. So machen es doch alle.

Interessanter als das Hauen auf tomatenketchupgefüllte Medienkörper ist natürlich das Fernsehgucken. Da erfährt man viel über die Welt. So informierte mich meine Mutter neulich darüber, daß es zwei verschiedene Sorten Rentner gibt. Das hätte sie beim Fernsehen gelernt. Die einen tanzen Rock'n'Roll, toben wie geistesgestört mit Kindern und Hunden herum und zeigen schließlich ihr sorgenfreies Kukident-Lächeln an allen schönen Plätzen der Erde, die sie bereisen, nachdem sie ihre Enkel in Grund und Boden gespielt haben: „Los! Noch eine Runde!“ – „Oma, ich kann einfach nicht mehr!“ – „Ach was, Mensch ärgere dich kann man immer!“ – „Bitte nicht, Oma! Du hast schon mein ganzes Taschengeld gewonnen.“ – „Na gut, dann fahr' ich jetzt mit Opa nach Sansibar.“ Diese Sorte Rentner begegnet uns knapp vor der Tagesschau im Werbeblock.

Die andere Sorte erwartet uns nach dem Nachrichtengong. Kaum hat Rentnerverwalter Blüm mit stolzgeschwellter Hausmeisterbrust verkündet, die Renten würden demnächst um ein achtel Prozent steigen, und dazu eindrucksvoll mit dem Kassenschlüssel geklappert, erscheint eine Statistik, aus der zu schließen ist, wie das achtel Prozent Rentenerhöhung auch nur wenigen Rentnerlein das Leben angenehmer machen wird. Im Hintergrund der eitergelben Steigerungskurve (die allenfalls den Neigungswinkel einer Rollstuhlrampe für Anfänger erreicht) erscheint ein Foto, auf dem zusammengesackte Gestalten mit krankenscheinpflichtigen Mützen auf Parkbänken hocken und sich an ihren Krückstöcken festhalten. Die werden das achtel Prozent nicht mehr erleben, um sich eine Prilblume für ihr Hörgerät leisten zu können, so viel ist mal klar.

Wie aber ist es so gekommen? Das ist nach „Wem nützt es?“ die zweite schöne Frage auf der Welt. Es ist so gekommen: Rentnerscharen werden mit dem Versprechen über die Gewinnmöglichkeit kostenloser Prilblumen plus drei Pfund guter Landbutter in die Sendeanstalten gelockt. Da nimmt dann der Programmdirektor höchstpersönlich die Auswahl vor: werbefähige ältere Mitbürger nach links in den Jungbrunnen, elende Greise nach rechts in den Käfig aus Statistikkoordinaten. Scheintote bitte geradeaus unter die Tomatenketchupflasche, danach Kurzauftritt als Pflegenotstand oder Verbrechensopfer.

Hinterher dürfen alle wieder raus und sich gegenseitig verkloppen, dabei laut „Potz Lebenslust!“ brüllen oder „Elend, Elend!“ wimmern. Kommen wir zur anderen Frage: Nützt es Blüm, weil einige Prozentberechtigte auf der Strecke bleiben? Nützt es Kukident? Dem Ketchuphersteller? Der Parkbank als solcher? Oder doch dem erkenntnishungrigen Individuum draußen vor der Ketchup-Mattscheibe, das ja eh nichts anderes mit sich anzufangen weiß, als jeden Abend einem lustigen Rentnerkrieg zuzusehen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen