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Wozu brauchen wir noch Tarifverträge?

IG Metall: Mini-Urabstimmung über neue Strategie der Gewerkschaftspolitik  ■ Von Kai v. Appen

Eigentlich herrscht in der Metallindustrie gerade tarifpolitische Friedenspflicht. Trotzdem führt die IG Metall Küste in der kommenden Woche eine dreitägige Mini-Urabstimmung durch – wenn auch nicht über einen Arbeitskampf. Ist die traditionelle Tarifpolitik noch zeitgemäß? lautet die Frage an die Basis.

Unter dem Motto: „Tarifverträge schützen – Tarifverträge nützen – wir stimmen für die Zukunft ab“sollen allein in Hamburg und Schleswig-Holstein sowie dem nördlichen Niedersachsen 50.000 Metaller in 70 Betrieben befragt werden. „Die Abstimmung ist zwar repräsentativ und flächendeckend“, so IG Metall-Küste-Sprecher Siegfried Hörmann, „den Verwaltungsstellen bleibt es aber überlassen, die Zahl der Betriebe zu bestimmen.“

Für die IG Metall-Nordlichter ist die Mini-Urabstimmung ein Mittel zur Neubestimmung tariflicher Strategien. Hörmann: „Durch die Befragung wollen wir uns legitimieren, uns in die aktuelle Diskussion über Tarifpolitik einzumischen.“Die Abstimmung habe natürlich auch den „netten Nebeneffekt“, so Hörmann, „daß sie mobilisierend wirkt“.

So wird nicht nur provokativ gefragt, ob die These von BDI-Chef Olaf Henkel, „Tarifverträge sind schuld an der hohen Arbeitslosigkeit“, falsch sei oder ob Lohnverzicht und längere Arbeitszeiten Arbeitsplätze schaffen könnten. Vor allem soll die Meinung der Mitglieder darüber erkundet werden, ob betriebliche Tarifvereinbarungen die allgemeinen Tarifbestimmungen ergänzen sollen. Hintergrund des Vorstoßes ist die gewerkschaftsintern entbrannte Diskussion über neue Formen der Tarifpolitik. Gerade Bezirk-KüsteChef Frank Teichmüller hat sich in den vergangenen Monaten für betriebsnahe Tarifpolitik in Form von „Ergänzungstarifverträgen“stark gemacht.

Damit aber beißt der Nord-Chef beim IG Metall-Apparat nicht nur im eigenen Bezirk auf Granit. Nach Auffassung Teichmüllers könnten aber viele betriebsspezifische Problemfelder bei andauerndem Strukturwandel (mangelnde Produktionsauslastung oder „Out-sourcing“) durch den Abschluß von Flächentarifen nicht mehr abgedeckt werden. So werden zum Beispiel bei der Betriebsschließung der Dosenfabrik „Züchner“in Barmstedt bei Elmshorn durch den Ergänzungstarifvertrag „Oualifizierung“die Beschäftigten für zwei Jahre sozial abgesichert und ihnen durch Schulungsprogramme Perspektiven eröffnet, um wieder einen Arbeitsplatz zu finden.

Andererseits gibt es Branchen, so die bittere Erkenntnis, in denen Flächentarifverträge mangels Kampfkraft gar nicht mehr durchgesetzt werden können, in kampfstarken Betrieben jedoch durch Haustarifverträge Tarifleistungen abgesichert werden können.

Die ersten Ergebnisse der Mini-Urabstimmung werden für Ende kommender Woche erwartet.

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