Schießbefehl in Hamburgs Knästen?

■ Menschenrechtsgruppen stellen Anzeige gegen Justizsenator Hardraht / Flüchtender auf Hahnöfersand gestern schwerverletzt Von Patricia Faller

„Daß ein Justizsenator einen Schießbefehl erteilt, ist nicht nur ein Skandal, sondern auch gesetzeswidrig.“ Frank Eyssen vom Büro für notwendige Einmischungen ist empört. Heute will er den parteilosen Hamburger Justizbehördenchef Klaus Hardrath wegen Anstiftung zur „Begehung dienstlicher Straftaten oder Delikten wider Leib und Leben“, wie es auf Justizdeutsch heißt, bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts Hamburg anzeigen. Mitunterzeichner der Anzeige sind die GALierin Anna Bruns sowie Mitglieder von Menschenrechts-, Flüchtlings- und Kirchengruppen.

„Warum kam es nicht zum Einsatz von Schußwaffen?“, hatte der Justizsenator Anfang Juni nach der Flucht eines Häftlings aus dem Untersuchungsgefängnis Holsten-glacis öffentlich gefragt. Den Wachposten drohte er mit disziplinarrechtlichen Schritten, weil sie den Gefangenen entkommen ließen.

Das nahmen sich die Hamburger Justizvollzugsbeamten wohl zu Herzen. Und gestern war es dann so weit: Ein Wachbeamter schoß einen 24jährigen Häftling an, der zusammen mit zwei 18jährigen Mitgefangenen aus dem Hamburger Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand bei Jork (Kreis Stade) fliehen wollte. Er wurde lebensgefährlich verletzt. Die beiden anderen konnten entkommen. Die drei hatten die Gitterstäbe ihrer Zellen durchsägt und waren nach dem Sprung ins Freie über den Sicherheitszaun gestiegen. Sie saßen in dem Gefängnis wegen mehrerer Rauschgiftdelikte.

Durch diesen jüngsten Vorfall sahen sich die Mitglieder der Menschenrechts-, Flüchtlings- und Kirchengruppen in ihren Befürchtungen bestätigt: „Durch diese ungeheure Druckausübung auf die Justizvollzugsbeamten in Hamburg“ wird künftig in ähnlichen Fällen geschossen.

Weil aber in den Gefängnissen meist auch Abschiebegefangene sitzen, nehme man billigend in Kauf, daß auch gegen diese künftig bei einem Fluchtversuch Waffen eingesetzt werden, obwohl das Strafvollzugsgesetz dies verbietet, so Hartmut Jacobi, Anwalt der Unterzeichner. Ebenso „kriminell“ und menschenrechtsverletzend sei es, wenn auf Untersuchungshäftlinge geschossen wird. Schließlich sind diese vor dem Gesetz so lange als unschuldig zu betrachten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Die Äußerung Hardraths degradiere Abschiebehäftlinge zu „Freiwild“, zumal Abschiebehaft grundsätzlich kein geeignetes Mittel der Flüchtlingspolitik ist, kritisierte GALierin Anna Bruns die „Wildwestmanier“ des Behördenchefs.

Klaus Hardraht wollte zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen. Das Verfahren werde „den gewohnten Gang“ nehmen, sagte seine Sprecherin Sabine Westphalen. Wenn der Justizsenator damals in der Presseerklärung vom Schußwaffengebrauch gesprochen hätte, dann habe er damit einen „Warnschuß“ gemeint, erklärte sie. Sei nicht zu erkennen, aus welchem Bereich des Gefängnisses die Flüchtenden kommen – wenn also nicht festgestellt werden könne, ob es sich um Abschiebegefangene handelt - haben die Beamten die Anweisung, nicht zu schießen.

Daß Warnschüsse aber wirkungsvoll seien, so die Pressesprecherin, habe sich bereits bei einem Fluchtversuch am 16. Juli in Hahnöfersand gezeigt. Damals hatten Flüchtige sich sofort von ihrem Vorhaben abbringen und von der Gefängnismauer fallen lassen.