: Unfähige Politiker?
■ Neue niedersächsische Gemeindeordnung ist „ein Unding“/ Interview mit Oldenburgs Oberbürgermeister
Politiker sind unfähig, Verwaltungsfachleute stellen sich nicht zur Wahl. Diese harsche Kritik übt Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Poeschel (CDU) an der neuen niedersächsischen Gemeindeordnung (NG). So gilt seit einem Jahr, daß das Bürgermeisteramt mit dem des Verwaltungschefs zusammengelegt wird (s. Kasten). Der Verwaltungsfachmann gehört zu den ersten im Lande, der mit dieser Eingleisigkeit Erfahrungen sammelte. Die taz sprach mit ihm über seine Kritik am neuen Modell.
taz: Sie üben Kritik an Ihrem eigenen Amt, warum?
Jürgen Poeschel, Oldenburger Oberbürgermeister: Grundsätzlich begrüße ich die neue Gesetzesänderung. Sie ist unter anderem der Versuch, die Politik von der Verwaltung ferner zu halten, weil nunmehr parteipolitisch weniger festgelegte Persönlichkeiten vom Bürger direkt für die Verwaltung gewählt werden können. Denn schließlich ist es die Pflicht eines Verwaltungschefs, der jetzt gleichzeitig Oberbürgermeister ist, seine Tätigkeit unparteiisch auszuführen. Doch dieser Versuch muß fehlschlagen, weil die Gesetzesänderung fehlerhaft ist. Sie ist halt von Politikern für Politiker gemacht worden.
Wo liegen die Fehler?
Die Wahl des Oberbürgermeisters findet parallel zu der des Rates statt und gilt gleichfalls für die Zeit von fünf Jahren. Das suggeriert dem Bürger eine Art parlamentarisches Modell, obwohl mit der Direktwahl des Oberbürgermeisters eigentlich das Gegenteil erreicht werden soll. Sie soll die Unabhängigkeit der Verwaltungsspitze von parteipolitischen Mehrheiten sichern. Der Anschein eines parlamentarischen Modells birgt hingegen die Versuchung eines permanenten Wahlkampfes in sich. Im übrigen werden sich qualifizierte Verwaltungsfachleute dafür nur selten zur Verfügung stellen, weil die aus hohen Positionen kommenden Personen dann doch gewaltige Statusverluste hinzunehmen hätten. Für Politiker hingegen hat dieses Amt eine hohe Attraktivität, doch die sind von ihren Parteien abhängig und naturgemäß nicht in dem Maße qualifiziert. Mit anderen Worten: Diejenigen, die für das Amt geschaffen sind, werden nicht kandidieren. Und denjenigen, die daran interessiert sind, weil es für sie das Sprungbrett in die Hauptamtlichkeit darstellt, fehlt die Kompetenz. So kehrt sich die eigentliche Intention der Gesetzesänderung ins Gegenteil um. Doch ich bin davon überzeugt, daß dieser Effekt seitens einiger Politiker gewünscht war.
Politiker halten Sie für das neu gestaltete Bürger- bzw. Oberbürgermeisteramt also von vornherein für ungeeignet?
So ist es. Die Verfassung definiert das neu gestaltete Amt des Oberbürgermeisters als das des Verwaltungschefs. Diesen Beruf aber haben Politiker nun einmal nicht gelernt. Der Ministerpräsident oder auch der Bundeskanzler als Regierungschef bestimmen die Richtlinien der Politik, und das ist auch in Ordnung so. Doch beide haben schließlich einen Staatssekretär. Der Politiker als Oberbürgermeister benötigte entsprechend einen „Stadt-Sekretär“, der ähnliche Aufgaben wie früher der Stadtdirektor übernimmt, jedoch dem Bürgermeister direkt unterstellt ist. Denn schließlich hat ein Bürgermeister neben seinen Pflichten als Verwaltungschef noch eine Unmenge an Repräsentationspflichten. Und hier wird er von den Bürgern zudem besonders beansprucht, ist er doch nicht mehr nur Schmuck für eine Veranstaltung, sondern jetzt hat der Bürgermeister sogar etwas zu sagen. Auch in einer größeren Stadt mit einem entsprechend großen Verwaltungsapparat ist die Lücke, die die politischen Aufgaben des Verwaltungschefs schlagen, kaum aufzufangen. In kleineren Gemeinden wird das noch wesentlich schwieriger sein. Die neue NG ist in diesen Punkten schlicht ein Unding.
Das Gesetz müßte nachgebessert werden?
Jawohl. Entweder, es werden für die Kandidaten entsprechende Qualifikationserfordernisse vorausgesetzt, oder man installiert die eben ins Gespräch gebrachte Position eines Stadt- oder Gemeindesekretärs. Außerdem gilt es dringend, die Wahlperiode zu verlängern.
Wie verleihen Sie diesen Forderungen Nachdruck?
Indem ich nicht müde werde, öffentlich darauf hinzuweisen. Außerdem hat bereits eine Konferenz der Innenminister stattgefunden. Die nahmen meine Bedenken zumindest mit Nachdenklichkeit auf. Doch es ist fraglich, ob die bestehenden Mehrheiten an einer neuerlichen Änderung interessiert sind.
Sie werden Ihre Kritik doch bereits vor Ihrer Kandidatur gehabt haben. Warum haben Sie sich trotzdem beworben?
Gerade dann, wenn eine Position mangelhaft gestaltet ist, bedarf es erfahrener Leute, die sie besetzen – als Schadensbegrenzung. Wie soll dieses Amt von Laien ausgeübt werden? Fragen: Albert Rohloff
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