■ Scheibengericht: Fiddlin' John Carson
Complete Recorded Works in Chronological Order, Volume 1–7 (Document Records 8011–8021)
Mit Fiddlin' John Carson begann das Zeitalter der Schallplatte in der Countrymusik. Im Juni 1923 spielte er in Atlanta, Georgia, die ersten Hillbilly-Stücke in den Trichter. Aufnahmeleiter Ralph Peers von OKeh-Records war anfangs von seinem hinterwäldlerischen Stil wenig angetan, dessen kommerzielles Potential er erst erkannte, als die Schellacks palettenweise Absatz fanden. Sofort sprangen andere Firmen auf den Zug auf. Aufnahmeteams machten sich jetzt Richtung Süden auf den Weg, um in Hotels oder leerstehenden Gebäuden für ein paar Wochen mobile Aufnahmestudios einzurichten. Täglich wurden Dutzende von Aufnahmen in Wachs geschnitten und – mit Trockeneis gekühlt zurück an die Firmenzentrale geschickt. Als Fiddlin' John Carson seine ersten Einspielungen machte, war er alles andere als ein Neuling. Mehr als 40 Jahre lang war er schon im Geschäft, wobei er vor allem bei Geigenwettbewerben, Tanzveranstaltungen und politischen Versammlungen (Songtitel: „Hurrah for Roosevelt!“) aufgetreten war und dabei eine wilde, exzentrische Zwei-Saiten- Technik entwickelt hatte, die den Eindruck von zwei Geigen vermittelte. Carson hielt sich selten an vorgegebene Schablonen, sondern folgte lieber seinem Instinkt, indem er eigenwillige rhythmische und melodische Akzente setzte. Diesen Personalstil legte er auch nicht ab, als er 1924 mit den Virginia Reelers die ersten Gruppenaufnahmen machte. Oft wechselte er zur Überraschung seiner Mitspieler voreilig in den nächsten Akkord, was eine archaische Komponente ins Spiel bringt. Carsons Stringband bestand zeitweise aus seiner Tochter Moonshine Kate, die die zweite Stimme sang und für den Rhythmus auf der Gitarre sorgte, und dem exzellenten Fiedler Earl Johnson, der alles andere als zweite Geige spielte. In die „Square-dance tunes“, Balladen und „Minstrel Songs“ brachte Johnson dadurch Dramatik ein, daß er unter die Violinstimme des Bandleaders eine immer leicht versetzte Begleitmelodie legte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen